Ich, Heinrich VIII.
begierig hinein, und ich tat es ihm nach. Es schmeckte gut.
Eine Welle erfasste das Boot und ließ es schaukeln. Unsere Nachbarn beschwerten sich laut. »Der Fluss ist nicht so ruhig, wie er um diese Jahreszeit sein müsste. Bloß für ’ne Krönung sitze ich hier die ganze Nacht und ertrage das …«
»Warst du bei der vorigen auch dabei?«
»Hä?«
»Bei der des Königs.«
»Das ist lange her«, antwortete er mit der Miene des Bedauerns. »Ich war noch ein halbes Kind.«
Ich auch, dachte ich.
»Aber mein Vater hat mich nach London mitgenommen. Ich weiß noch, dass ich ihn gesehen habe. Mein Vater trug mich auf seinen Schultern. Der König war sehr schön. Er war so jung, so … so golden. Wie ein Edelstein war er, und …«
WUMM ! Das Dröhnen einer Kanonensalve machte dem Gespräch ein Ende. Ich drehte mich um und sah, dass Will mich mit hochgezogener Braue musterte. Er verabscheute die Art, wie ich »aus dem Brunnen der Eitelkeit trank«, wie er es nannte.
»Da kommt sie«, rief der Mann.
Ich reckte den Hals wie ein gewöhnlicher Bauer. Auf Zehenspitzen stand ich auf der Sitzbank in unserem kleinen Kahn. Ich sah nur Deck über Deck, Boot über Boot: die Staatsbarke, die geschmückten Barken der Handwerksgilden, des Adels und des Klerus, und zahllose kleine Boote wie das unsere. Sie drängten sich so dicht, dass die Themse nahezu unsichtbar war.
Dann sah ich, wie die Scharen sich langsam teilten. Die kleinen Boote lenkten beiseite, und ein weiter, breiter Pfad öffnete sich für die königliche Barke. Die Sonne glänzte darauf, als wolle sie ihn polieren und anwärmen.
Ein Knall. Der Wind hatte in Annes Segel gegriffen. Die Ruder waren unnötig. Es rauschte. Die Ruderblätter hoben sich aus dem Wasser, ein paar Tropfen rieselten herunter, und sie verharrten in der Luft, gespreizt wie Schmetterlingsflügel.
Die Barke schob sich ins Blickfeld. Katharinas Barke – aber sie gehörte nicht mehr Katharina. Sie war verwandelt.
Sie war vollständig neu bemalt. Wo einst spanische Granatäpfel und die Embleme Spaniens am Bug gesessen hatten, prangten jetzt Annes: ein weißer Falke und darunter ihr Motto: Ich und das Meine. Ein stolzes Motto, so stolz wie die Dame selbst.
Der Wind füllte die Segel. Sie waren karmesinrot, und sie knatterten und blähten sich in der Brise. Unter ihnen, auf einem Staatsthron, ganz in Weiß gekleidet, saß Anne.
Sie schaute niemanden an. Tausende umringten sie und gafften, aber sie blickte starr geradeaus, ihr Haar flatterte im Wind wie die Segel.
Da liebte ich sie wie niemals sonst. Sie fuhr über das Wasser wie eine Göttin. Ich streckte die Hand nach Will aus und fragte: »Ist sie nicht schön?« Aber ich hörte seine Antwort nicht.
Annes Barke kam heran und zog vorüber. »Wie Kleopatra, mein Lord«, sagte Will schließlich. Für den Rest des Tages war die Barke ein Schattenriss vor der Sonne, in die sie hineinsegelte. Gegen die Sonne sah sie aus wie eine Fledermaus, eine mächtige schwarze Fledermaus mit gespreizten Flügeln.
Die Leute nebenan packten ihren Proviant und ihre Gerätschaften ein, um nach Hause zu fahren. Ich sagte ihnen Lebewohl.
»Schön war’s«, sagten sie ein wenig betrübt. Mit dumpfem Klang verstauten sie ein weiteres Stück.
»Ihr klingt traurig«, rief ich versuchshalber.
»Aye. Sie war so hübsch.« Sie stießen ihr Boot ab. »Ich glaube …« Aber die Stimme versank im Wogen des Wassers und im Rauschen der Segel. Ich wandte mich an unseren Bootsmann und an Will.
»Es wird Zeit, dass wir auch wieder nach Hause fahren.«
»Ganz recht«, sagte der Bootsmann. Ich machte es mir bequem und harrte der kurzen Überfahrt zum öffentlichen Bootssteg von Greenwich. Selbst in kleinen Dingen machte es mir heute Freude, jemand anderem das Steuer zu überlassen, mich zurückzulehnen und zu träumen.
Und so träumte ich, während die untergehende Sonne mir auf die Lider schien. Ich träumte von Anne in einer großen ägyptischen Barke. Anne als die Frau des Pharaos. Anne als – Potiphars Weib.
Im Tower war Anne an diesem Abend von fieberhafter Munterkeit. »Hast du es gesehen? Was haben die Zuschauer gesagt?«, fragte sie immer wieder, und nie gab sie sich mit meinen Antworten zufrieden. »Der Drache – er war prächtig. Habe ich dir erzählt, dass er Feuer spie, bis herauf zu meinen Füßen? Einer meiner Schuhe ist angesengt!«
»Ssch«, sagte ich. »So beruhige dich.«
Ringsumher erhob sich aufgeregtes Geplapper. Achtzehn junge Männer bereiteten
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