Ich, Heinrich VIII.
großen Grenzland-Lords –, Katharinas Parteigänger: Sie hatte ich für Annes Feinde gehalten. Aber das gemeine Volk! Sie war doch eine von ihnen. Wie konnten sie sie zurückweisen?
Katharina musste diese Leute bestochen haben! Ihr verschlagener kleiner Affe von einem Botschafter, dieser Chapuys, steckte hinter diesem beleidigenden Schauspiel. Nun, ich würde ihn vorführen und bestrafen lassen.
Vorläufig indessen war diese unerträgliche Messe zu überstehen – diese so lang erwartete, nun so verheerende Messe. Anne an meiner Seite war still. Ich fühlte ihren Zorn: Er hatte leibliche Gestalt.
Als wir in dieser Nacht allein in den königlichen Gemächern waren, kreischte sie vor Wut. Es war nach zwei Uhr in der Frühe; um diese Zeit, so hatte ich geglaubt, würde ich allmählich in einen paradiesischen Schlummer versinken – in Annes Armen; ich würde ihre Küsse fühlen und ihre gemurmelten Zärtlichkeiten und hübschen Danksagungen für all die Gefahren hören, denen ich getrotzt, um sie zur Königin zu machen, um ihr diesen Augenblick zu schenken.
Doch dieser Augenblick hatte sich, wie so vieles andere in unserem Leben, in ein Erlebnis voller Schmerz und Trauer verwandelt, erniedrigend und enttäuschend.
»Ich hasse sie!«, kreischte sie zum zehnten Male. »Ich werde mich an ihnen rächen!« Und dann zu mir: »Warum hast du sie nicht aufgehalten? Warum hast du dagestanden wie ein Bauernlümmel?«
»Weil ich ebenso verdutzt war«, murmelte ich.
»Du hättest sie verhaften und verhören lassen müssen!«
»Nein, denn das hätte ihnen gefallen und ihnen Bedeutung verliehen. Es ist besser, sie gar nicht zu beachten. Das ist die Art der Könige.«
»Nein! Ich will Rache an ihnen nehmen!«
War es in diesem Augenblick, dass der ungebetene Gedanke in meinem Kopf explodierte und die Schranken von Verlangen und Besessenheit niederriss? So benimmt sich eine Gemeine, nicht eine Königin. Als Gemeine ist sie geboren, und eine Gemeine bleibt sie auch. Sie ist nicht aus dem Holz, aus dem man Könige schnitzt. Sofort bemächtigte meine Liebe sich dieses Gedankens, rang ihn nieder, legte ihn in Fesseln.
»Sie liegen längst in ihren Betten und schlafen. Wir könnten nicht mehr feststellen, wer sie waren, selbst wenn wir es wollten. Denk nicht mehr daran.« Insgeheim hatte ich mir vorgenommen, Chapuys zu verhören, aber unter vier Augen. »Eine Veränderung ruft immer Unruhe hervor. Selbst der Frühling birgt eine Art von Traurigkeit.«
Ich klopfte aufs Bett, mit dem ich noch immer einige Hoffnung verband. »Komm zu Bett, mein Herz. Ich will meine neue Königin lieben.«
Aber ich war ihr nutzlos wie schon einmal, und ich fand keinen Schlaf in dieser üblen Nacht.
Waren wir verflucht? Seite an Seite lagen wir da, stellten uns beide schlafend, und diese Worte rannten uns wie Ratten im Kopf herum.
XLIX
Ü berall im Land war es geschehen. In einer Kirche nach der anderen waren die Leute, als das Gebet, in dem Anne als Königin benannt wurde, verlesen worden war, entweder verstummt, oder sie hatten die Messe verlassen. Sie sprachen eine ebenso laute Sprache wie jener Wahnsinnige, der im Sommer zuvor durch die Straßen gerannt war und gebrüllt hatte: »Wir wollen keine Nan Bullen!« Sie waren so mächtig wie die Meute, die Anne verfolgt hatte, um sie zu steinigen. Sie waren so zornig wie der Pater, der von Ahab gepredigt hatte.
Zum ersten Mal kamen mir jetzt Zweifel, wenn ich an Annes Krönung dachte. Anne hatte sich danach gesehnt, und ich hatte sie ihr versprochen. Aber was, wenn das Volk sie an diesem Tag ebenso von ganzem Herzen zurückwies? Das wäre sehr viel schlimmer, als ganz auf die Krönung zu verzichten.
Was konnte ich dagegen tun? Ich konnte nicht jeden einzelnen Londoner zum Schweigen bringen; es gab mehr als hunderttausend. Auch mit Geld konnte ich es nicht; die königliche Schatulle war beinahe leer, und die Krönung würde jedes Pfund auffressen, das ich erübrigen könnte. Hinter goldenen Gewändern und üppigen Staatsbanketten verbarg sich die Tatsache, dass die Krone dringend Geld benötigte. Darüber beriet ich mich mit Meister Cromwell.
Er erinnerte mich an den beklagenswerten moralischen Zustand der Klöster, in denen die Verkommenheit Seite an Seite mit unermesslichem Reichtum hauste. »Dies zu sehen, muss das Herz Unseres Herrn mit Schmerz erfüllen«, meinte er fromm. Er bat mich um die Erlaubnis, eine Untersuchungskommission in jedes dieser frommen Häuser zu schicken, die darüber
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