Ich, Heinrich VIII.
waren ringsum am Rand angebracht; dahinter standen Kerzen, die für die Beleuchtung sorgten. Die gespenstischen, blau getönten Lichter in der Halle wurden ausgelöscht, bis nur noch die Bühnenkerzen brannten.
Die Musiker begannen zu spielen. Es war die sanfteste Harfenmusik, die ich je gehört hatte; sie ließ an Ekstase und Ewigkeit denken. Auf der Bühne erschienen bleiche, amorphe Wesen mit großen weißen Flügeln, an denen Federn glänzten. So hatte ich mir Engel und vor allem ihre Flügel immer vorgestellt, schwebend und nah, süß und tröstlich. Als Kind hatte man mir erzählt, ich hätte einen Schutzengel, der darüber wachte, dass ich nicht fehltrat; und wenn ich beim Spiel um Haaresbreite einem Unfall entgangen war, hatte ich diesen Heinrichsengel beinahe gesehen …
Schwarze, spröde Wesen brachen jäh auf die Bühne – waren sie durch eine Falltür gekommen? – und krochen umher wie Insekten. Es waren ganze Schwärme, und sie fielen über die Engel her, rissen an ihren Flügeln und verstreuten die Federn wie ein mächtiger Sturmwind. Die Musik verwandelte sich zu schrillem Geschrei voller Schmerz, Angst und Zwietracht. Die Engel fassten Ruten und prügelten die Teufel damit; einer fiel vorn auf die Bühne, und sein Inneres quoll hervor – dicke, klebrige, geschmolzene Klumpen. Dann erschien ihr Fürst – Satan, in einen Mantel von schwarzem Satin gehüllt, vom Rauch umwirbelt. Überrascht stellte ich fest, dass Satan gar nicht hässlich war. Sein Antlitz kam mir sogar bekannt vor, aber im flackernden Rampenlicht erschien es ganz und gar neu. Es leuchtete in übernatürlicher Schönheit.
»Ich bin es, Luzifer, der Lichtträger, der Morgenstern«, rief er, und in der Tat war er all das.
Das Böse war nicht immer hässlich; am stärksten war es, wenn es sich als Engel des Lichts verkleidete, und wer wusste das besser als ich?
»Kämpft an meiner Seite!«, forderte er uns alle auf. »Zusammen werden wir die Engel besiegen und im Himmel herrschen immerdar!«
Eine Schlacht entbrannte, und nur der Erzengel Michael und seine Heerscharen von besonderen Engeln vermochten es, Luzifer und seine schwarzen Legionen in die Flucht zu schlagen. Überall in der Großen Halle wurden Kohlenbecken entzündet, und daraus stiegen Rauchwolken empor, die alles einhüllten. Der Kampf auf der Bühne erreichte auch uns; plötzlich waren Engel und Teufel unter uns, kreischend, fechtend. Ein großmächtiger Flügel klatschte gegen meinen Sessel, dass die Federn stoben, und drei Dämonen hasteten seinem Träger nach und krochen zwischen den Sprossen des Stuhls umher. Einen erkannte ich: Francis Bryan mit seiner Augenklappe. Dann verriet sich ein zweiter durch die vertraute Geste, mit der er sein Haar zurückwarf, und das Herz wollte mir gefrieren: Henry Norris trug als Dämon Annes Maske. Der Kampf ward Wirklichkeit, Schwerter wurden gezückt. Die Zuschauer stürzten sich in das Pandämonium, aber ich hatte keine Lust dazu. Eine schlaftrunkene Lethargie war über mich gekommen, lähmte meine Glieder und benahm mir den Verstand. Dieser Rauch …
»Opium.« Wieder hatte Anne meine Gedanken gelesen »Mit großem Aufwand an Kosten und Mühen im Orient erworben. Es ist die Große Lethargie, die Trägheit in einem Pulver … Aber gib nur Acht; es wird Schaden verhindern.«
Der Schwung der Schwerter verebbte; die Kämpfer ließen ihre Kimgen sinken. Bewegungen wurden schwer. Nur die Dämonen blieben flink und behände, als wären sie immun. Kreischend hoben sie die Arme, und unter der schwarz verhangenen Bühnenplattform schwärmte eine Horde übler Geschöpfe hervor: Werwölfe, Phantome, Mumien, Moorgeister, Gespenster, Grabwürmer, Leichen, Hexen und Hexenmeister, Verwesung, Reue, Zerknirschung …
Anne erhob sich neben mir, schrie mit ihnen, den roten Mund aufgerissen und gerundet, und ich wusste, sie war ein Vampir, gierig nach Blut, wie sie mir meines ausgesaugt und auch mich in eine Kreatur der Nacht verwandelt hatte, eine Kreatur, die zu etwas Fremdartigem geworden war und vom Blute anderer, ja, von Freundesblut gelebt hatte.
Sie ergriff meine Hand, und auch ich stand auf. Ich war geworden wie sie: genauso böse, genauso blutdürstig, genauso besudelt. Ihr Mund hatte mich infiziert, mich in meinem Wesen verdorben. Aber ich wollte nicht so sein, ich wollte erlöst werden … Vergebens schaute ich nach einem Engel aus. Nur ein abgerissener Flügel lag auf dem Boden, aus dem Schultergurt gebrochen, der Wachsrahmen formlos
Weitere Kostenlose Bücher