Ich, Heinrich VIII.
Oberfläche ruhig und leer erscheinen. Wie ungefährlich ist es, achselzuckend wieder ans Ufer zu klettern, statt sich ein Herz zu fassen und sich in die kalte, fordernde, schleimige Fläche zu stürzen. Was würde geschehen, wenn ich mich mit Anne auf das Bett legte? Konnte ich vorhersehen, was ich fühlen würde? Wagte ich, es herauszufinden?
Sie zog mich, und ich folgte ihr. Ja, ich würde es tun, denn nur wenn ich dies alles noch einmal fühlte, wäre ich erlöst von dem, was seither geschehen war. Mir gefiel nicht, was seither geschehen war, und ich wollte es nicht. Ich wollte sein, was ich war.
So paarten wir uns auf dem schwarz verhangenen Bett. Und es war nur eine Paarung. Es lag kein Zauber darin. Ich fühlte jede körperliche Empfindung, hörte jedes Scharren von Fleisch an Fleisch. Aber es war nur Fleisch, und als solches hatte es geringe Macht. Ihr Arm war nur ein Arm, ihr Körper war ein Körper, und ihr Gesicht war ein Gesicht. Sie war Anne, ihrer zusätzlichen Dimension, ihrer schmerzlichen Pracht beraubt – denn diese hatte ich selbst um sie verbreitet, sie waren meiner eigenen Leidenschaft und meinem Verlangen entströmt.
Ich drehte mich fort von ihr. Es war jetzt noch schlimmer, denn indem ich es getan hatte, hatte ich sogar den Glanz der Erinnerung zerstört. Wenn ich jetzt zurückblickte, war es immer so gewöhnlich wie jetzt gewesen, nur hatte ich es bis jetzt nicht wissen können. Ich hatte das Siegel gebrochen, dass diese Erinnerungen unverletzt bewahrt hatte; statt die Vergangenheit auferstehen zu lassen, hatte ich sie getötet.
Soeben habe ich die letzten Worte noch einmal gelesen. Worte sind es, weiter nichts: zurückblicken … auferstehen … entströmen … Wahr ist nur eines: »Ich hatte das Siegel gebrochen, das die Erinnerungen bewahrt hatte.« Das hatte ich getan, zu meinem eigenen Schmerz. Aber es war eine tapfere Tat gewesen. Denn hätte ich mehr von dem gefunden, was ich früher gefunden hätte, ich wäre willens gewesen, auf diesem Weg weiterzugehen, wohin er mich auch geführt hätte.
Anne lag neben mir, ein schlankes, sinnliches Wesen. Das Licht von Kerze und Fackel war ihrer Haut verwandt; es gab ihr einen sahnigen Pergamentton. Sie wandte sich ab, um eine Kerze neben dem Bett zu entzünden. Ich sah ihr dabei zu und erinnerte mich, wie just diese Bewegung einst ganz und gar ihr eigen gewesen war. Jetzt wusste ich Bescheid, und ich hatte gesehen, wie andere eine Kerze entzündeten.
Dennoch hasste ich es, zu wissen und zu sehen.
Niemand hatte je geliebt, wie ich geliebt hatte. Das glaubte ich fest. Niemand hatte jemals jemanden so geliebt, wie ich Anne geliebt hatte.
Die Trauer lag im Tempus dieser Worte.
LXVIII
I ch bekomme ein Kind.«
Anne stand triumphierend vor mir und sprach diese Worte. Diesmal log sie nicht, das wusste ich; sie wäre dann nicht so kühn gewesen.
Ihr großer Einsatz hatte sich also hübsch bezahlt gemacht. Die Ausgaben für das Opium, für das Fest, die Einrichtung der traulichen Kammer, um sich meiner Dienste zu versichern, hatten Früchte getragen. Wie hatte ich so gefügig sein können? Wie hatte sie die Zeit so genau abpassen können? Natürlich: Weil sie die Wahl des Zeitpunkts in der Hand gehabt hatte, weil sie das Fest nach dem Rhythmus ihres Körpers geplant hatte. Vielleicht konnte sie ja sogar die Zyklen ihres Körpers steuern? Ihre Kräfte waren buchstäblich außergewöhnlich.
»Das freut mich.« Ich erhob mich, um ihr meinen Arm um die Schultern zu legen, wie die Höflichkeit es befahl.
Wir würden einen Sohn bekommen, und das würde sie retten. Wenn sie mir einen Sohn schenkte, konnte ich sie nicht verstoßen. Das wusste sie, und wie ein bedrohtes Tier hatte sie sich zu schützen getrachtet.
Und wenn das Kind sicher in ihrem Leib verankert war, konnte sie sich meiner entledigen. Sie könnte Königswitwe sein und durch ihren Sohn regieren. Sie hatte schon begonnen, ihren Zauberbann wider mich zu spinnen und mein Leiden wieder zu erwecken: Nur wenige Tage nach dem Michaelis-Fest hatte ich erst ein Kribbeln und dann einen pochenden Schmerz im Bein verspürt, und jetzt war das Geschwür wieder aufgeblüht, größer als je zuvor. Hässliche schwarze Streifen breiteten sich davon nach allen Seiten aus. Dr. Butts war immer noch bei Maria, und ich wollte ihn nicht von ihr trennen. Also war ich genötigt, meine Krankheit selbst zu behandeln. Keiner von Dr. Butts Kollegen war kundig – oder diskret – genug, um sich damit zu
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