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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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schrille, kakofone Klänge, heulend und durchdringend. Man folterte Saiteninstrumente, und ihre Schreie wurden von brutalem Trommelschlag übertönt.
    »Gefällt es dir?«, fragte sie mich. »Ich habe es eigens für diesen Abend komponieren lassen – der Sieg des Winters und der Finsternis über den Sommer und das Licht.«
    Nie hatte sie ihren Mut glänzender zur Schau gestellt: Kein Wort über unseren letzten Abschied, über unsere Entfremdung oder meine Vorwürfe; stattdessen die Frage nach meiner Meinung über ein experimentelles Musikstück. Ich bewunderte ihre Tapferkeit und verachtete zugleich ihre Person.
    »Es ist scheußlich«, sagte ich. »So scheußlich wie die Dunkelheit und alles Böse.«
    »Dann ist es eine erfolgreiche Komposition«, erwiderte sie. »Denn eben dies soll es darstellen.«
    »Wer ist der Schöpfer? Mark Smeaton?« Ich beantwortete mir meine eigene Frage.
    Sie nickte. »Würdest du den Ehrenplatz einnehmen? Es ist alles bereit.«
    Sie sollte an meiner Seite sitzen. Also hatte sie nicht die Absicht, in diesem Schauspiel eine Rolle zu spielen; sie hatte meine Wünsche respektiert. Oh, sie war so fügsam, so liebreizend. Zu spät – viel zu spät.
    Die Halle war voll; dicht drängten sich die so genannten »neuen Männer«, die jungen Opportunisten des Tages. Da war der untersetzte, gewinnende Edward Clinton aus Lincolnshire; das dunkle Satinwams spannte sich über seinen breiten Schultern. Erst vor kurzem, nach dem Tode seines Vaters, Baron geworden, hatte er, wie man munkelte, ein Auge auf Bessie Blount geworfen, um sich ihrer zu bemächtigen, sobald der kränkliche Tailboy hingeschieden wäre. Aber wollte er sie vielleicht aus Gewinnsucht? Ich musste es feststellen. Auf jeden Fall warf er lüsterne Blicke auf die Gemahlin des Kanzlers, die neben ihm stand. Treu würde er nie sein.
    Sir Richard Riche, einer von Cromwells Leuten, kürzlich zum Generalanwalt der Krone ernannt, stand zwischen Kanzler Audley und seiner Frau. Sein ganz und gar konturloses, nicht im Mindesten einprägsames Gesicht lächelte milde. Seine Lippen bewegten sich, aber er sagte nichts. Gleichwohl hatte sein Zeugnis geholfen, More zu überführen.
    More.
    Es wimmelte hier von seinen Nachfolgern und Erben: Thomas Wriothesley, auch eine von Cromwells »Entdeckungen«, stolzierte umher, spitzfingrig, geziert. Er hatte seinen Namen vor einiger Zeit von Risley zu Wriothesley aristokratisiert, und er redete in einem Ton, den er für modisch sanft hielt. Neben ihm sah ich Ralph Sadler, einen angenehmen, mausähnlichen Mann. William Petre, lieb und fügsam. Bischof Stephen Gardiner, berechnend, aber unfähig – eine unglückselige Kombination.
    Sie alle brachten mir einen schlechten Geschmack in den Mund. Gern hätte ich ausgespuckt, am liebsten auf die Feder von Risleys geckenhaft affektiertem Hut.
    Mit Erleichterung fiel mein Blick auf eine andere Gruppe von »Neuen Männern«. Da stand William Parr, gerade zwanzigjährig, aber mit einem würdevollen Benehmen, das an eine frühere Ära denken ließ. Er war aus einer Familie, die im Norden zu Hause war und die mir gegen die Schotten gute Dienste geleistet hatte. Seine Schwester Katherine, die Gattin des alten Lord Latimer, stand neben ihm; die Bedürfnisse ihres Gemahls erlegten ihrer Jugend keinerlei Entbehrungen auf: Er stammte zwar aus Lincolnshire, hatte aber ein Stadthaus in London und brachte seine Frau oft an den Hof, wo sie die Gesellschaft der wenigen verbliebenen Gelehrten und Humanisten suchte und Annes Gemächer entschieden mied. Ich war überrascht – erfreut, aber überrascht –, sie heute Abend hier zu sehen. Jane Seymour, in blasses Herbstgold gewandet, war ins Gespräch mit ihr vertieft. An ihrer Seite erkannte ich Edward und Tom – der eine hölzern und manierlich, der andere herausgeputzt wie ein bunter Kakadu.
    Die älteren Männer standen in einer weiteren Gruppe abseits – der Herzog von Norfolk, der aussah, als habe er einen unverdaulichen Klumpen Nierenfett im Magen, der sein Gesicht gelb färbte; daneben der Herzog von Suffolk, unbeschwert wie immer. Gott, ich beneidete ihn darum. Es war schon eine besondere Gabe, wenn man es vermochte, niemals einen unwiederbringlichen Augenblick mit Sorge oder Reue zu verbringen. Jetzt, da ich den wahren Grund für Marias Tod kannte, nahm ich Brandon seine Wiedervermählung nicht länger übel; es erschien mir wie eine Rache an Anne, dass er nicht übermäßig lange getrauert hatte. Wo war sein junges Weib?

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