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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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dass sie nicht kam. Im letzten Augenblick waren wieder irgendwelche »Skrupel« in ihr erwacht, irgendein zwingendes Gefühl der Loyalität zu Katharina … Meine Enttäuschung war so schneidend und tief, dass sie in sich eine Form der Trauer war. Die Hoffnung war gestorben, und der Tod der Hoffnung ist der wahre Tod; stirbt dann der Körper, ist dies nur noch Bestätigung.
    So zuversichtlich hatte ich gehofft, so sicher war ich gewesen … und jetzt dieser zweite Tod. Gott quält uns auf der Folterbank unserer Erwartungen; die irdischen Martergeräte, die wir uns bauen, sind nur klägliche Imitationen derer, die Ihm zu Gebote stehen.
    Die Tür öffnete sich. Ich schaute schon nicht mehr hin, und so war Maria ganz hereingekommen, ehe ich sie erblickte. Und dann erschien sie mir wie eine Vision.
    Eine zierliche junge Frau – das war mein »Töchterlein«. Sie war klein, und das ließ sie jung erscheinen und täuschte über ihr wahres Alter hinweg.
    »Vater.« Ihre Stimme war leise und rau; es war sonderbar, dass so etwas aus ihrer Kehle kommen sollte.
    Bevor ich antworten konnte, hatte sie sich mir zu Füßen geworfen und begann mit dieser beinahe knurrenden Stimme: »In aller Demut werfe ich mich Euch zu Füßen, um Eure huldreiche Gunst in Empfang zu nehmen, mein gnädiger, mitleidsvoller und über die Maßen gesegneter Vater, Oberstes Haupt der Kirche von England …« Ein Wort klebte am anderen, als sie zugab, dass die Ehe ihrer Mutter blutschänderisch gewesen sei, Rom ihre Gefolgschaft aufkündigte und meinen Anspruch auf die oberste Führung der Kirche von England anerkannte.
    Ich beugte mich zu ihr hinunter, hob sie sanft auf und umarmte sie. Ihr Scheitel reichte mir bis zur Brust.
    »Maria, Tochter. Du brauchst nicht weiterzusprechen. Danke, dass du zu mir zurückgekommen bist.«
    Sogleich begann sie zu weinen, und ich wusste, sie weinte, weil sie ihre tote Mutter »verraten« hatte. Aber weiterzuleben ist kein Verrat. Ich sagte nichts und ließ sie weinen. Aber, oh! – mein Herz jubilierte, weil ich sie wieder bei mir hatte … nachdem Katharina und Anne sie mir genommen hatten. Ich dankte Gott dafür, dass die beiden tot waren. Ihr Tod befreite mich von meiner Vergangenheit und meinen Fehlern.
    »Du bist willkommen hier am Hofe«, sagte ich schließlich. »Komm, die Königin will dich wiedersehen.«
    »Königin Jane war immer freundlich«, sagte sie leise und monoton.
    Jane war an den Hof gekommen, als Katharina bereits ihr halsstarriges Märtyrerleben in der Isolation begonnen hatte. Wer seinen eigenen Vorteil im Sinn gehabt hatte, war Annes aufsteigendem Stern gefolgt. Jane aber war bei Katharina geblieben und hatte sich mit Maria angefreundet, die nur sieben Jahre jünger war als sie. (Jane war im Jahr meiner Krönung geboren.)
    Zusammen verließen wir mein inneres Gemach und traten hinaus in das Empfangszimmer. Ich ließ die Königin rufen; sie sollte unverzüglich herkommen. Während wir warteten, standen Maria und ich verlegen nebeneinander. Meine Hochstimmung war verflogen; ich fühlte mich beinahe unbehaglich mit einer erwachsenen Frau an meiner Seite, die eine Fremde und zugleich meine Tochter war. Wollte Jane denn niemals kommen und diese Anspannung auflösen?
    Jane, Jane, hilf mir, wie du es immer tust …
    Jane erschien am anderen Ende des Raumes und kam rasch auf Maria zu, die Arme ausgestreckt, ein strahlendes, natürliches Lächeln auf ihrem Gesicht.
    »Maria, Maria!«, rief sie, und ihre Stimme klang ehrlich erfreut.
    Maria wollte niederknien, aber Jane nahm sie in die Arme. »So sehr habe ich mich nach diesem Tag gesehnt«, sagte Jane. »Jetzt ist mein Glück vollkommen.« Sie streckte eine Hand nach mir aus und schloss uns alle drei zusammen.

LXXVIII
    I ch hielt sie in meiner Hand: eine geheiligte Reliquie, die seit den Tagen Edward des Bekenners in der sicheren Distanz eines goldenen, juwelenbesetzten Reliquiariums angebetet worden war. Von weit her waren Pilger gekommen, um sie zu sehen, und ihre inbrünstigsten Gebete hatten sie an sie gerichtet. Es war eine gläserne Phiole, und sie enthielt Tropfen der Milch von der Heiligen Jungfrau – eine wundersame Hilfe für unfruchtbare Weiber.
    Cromwells Inspektoren hatten herausgefunden, dass es ein Betrug war: Die Phiole wurde regelmäßig nachgefüllt – mit gemahlenem Kalk aus Dover, aufgelöst in dünnem Olivenöl. Der leicht gelbliche Ton gab dem Ganzen den Anschein hohen Alters.
    Die Mönche in dem betreffenden Wallfahrtsort hatten

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