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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Spitznamen »die Große Bibel« – wegen ihres Formats. Die kürzlich verkündeten »zehn Glaubensartikel« für die Anhänger der – meiner! – Kirche von England schrieben vor, dass jede Kirche eine Bibel in englischer Sprache besitze, und für diesen Zweck nahm man Miles Coverdales Übersetzung. Eigentlich hatte sie in Frankreich gedruckt werden sollen, weil sie dort größere Pressen hatten, aber dann waren die englischen Kirchenmänner mit dem französischen Generalinquisitor aneinander geraten, und das ganze Druckunternehmen musste nach England verlagert werden. Das Exemplar, das ich befragte, war ein Vorabdruck, den man mir zur Begutachtung übersandt hatte. Eine Änderung war schon notwendig: Annes Name als derjenige der Königin auf der Widmungsseite musste durch Janes ersetzt werden, wie es auch anderswo auf steinernen und hölzernen Bildwerken geschah.
    Ich schlug das Lukasevangelium auf, Kapitel fünfzehn, Vers zehn.
    Ebenso, sage ich euch, wird Freude sein bei den Engeln Gottes über einen einzigen Sünder, der sich bekehrt.
    Oder über einen, der erkennt, dass er kein Sünder ist.
    Ferner sprach er: Ein Mann hatte zwei Söhne.
    Zwei Töchter.
    Der jüngere von ihnen sagte zum Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, welcher mir zukommt. Da teilte er unter sie das Besitztum.
    Genauso, wie Maria ihr »Erbe« verlangt hatte – ihr spanisches Geburtsrecht, ihren Titel als »Prinzessin« – und daneben nichts gelten ließ.
    Wenige Tage darauf packte der jüngere Sohn alles zusammen, zog fort in ein fernes Land und vergeudete dort sein Vermögen in einem ausgelassenen Leben.
    Maria hatte ihr »Vermögen vergeudet« – allerdings mit extremen asketischen Übungen in selbst gewählter Isolation und Aufsässigkeit.
    Nachdem er aber alles vertan hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land, und er begann Not zu leiden.
    Ja, Maria war in Not. Und die »Hungersnot« war Annes Versuch, sie körperlich zu vernichten und alle ihre Freunde zu vertreiben.
    Da ging er hin und verdingte sich an einen Bürger jenes Landes, und der schickte ihn auf seine Felder und ließ ihn die Schweine hüten.
    Sie hatte sich an Chapuys und seinen leeren Traum von der Rettung durch den Kaiser und der Rebellion gegen meinen Willen verdingt.
    Und gern hätte er seinen Magen gefüllt mit den Schoten, von denen die Schweine fraßen, doch niemand gab sie ihm.
    Ja, vom Kaiser bekam man schöne Worte, aber sonst nichts. Und der Papst schickte ihr die leeren Schoten päpstlicher Bullen zur Nahrung.
    Da ging er in sich und sprach: Wie viele Taglöhner meines Vaters haben Brot im Überfluss, und ich gehe hier vor Hunger zugrunde?
    Maria hatte eingesehen, dass sie düpiert, im Stich gelassen und verraten worden war – von allen.
    Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich versündigt gegen den Himmel und vor dir; nicht mehr bin ich wert, dein Sohn zu heißen: Halte mich wie einen deiner Taglöhner.
    Das hatte auch Maria mit ihrem Unterwerfungsschreiben getan.
    Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Er war noch weit weg, da sah ihn sein Vater und lief ihm, von Mitleid bewegt, entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe mich versündigt gegen den Himmel und vor dir; nicht mehr bin ich wert, dein Sohn zu heißen.
    Ich nickte. Ja, Maria würde gewiss auch so sprechen, wenn wir einander begegneten; sie würde Anlass dazu verspüren.
    Aber der Vater sagte zu seinen Knechten: Holt ihm geschwind das Beste Kleid heraus und zieht es ihm an; gebt ihm einen Ring an die Hand und Schuhe an die Füße; und bringt auch das gemästete Kalb und schlachtet es; wir wollen essen und ein Freudenfest feiern; denn dieser mein Sohn war tot und wurde wieder lebendig, er war verloren und wurde gefunden.
    Ich schloss die Große Bibel. Ja, so war es. Meine Tochter war tot und ist wieder lebendig. Man kann ins Leben zurückgerufen werden, auf diese Seite des Grabes …
    Ich merkte, wie nervös ich schon jetzt darauf wartete, dass Maria sich am kommenden Nachmittag »unterwerfen« würde. Sie sollte in den Palast kommen und dort in aller Form vortragen, was sie bereits in ihrem Brief geschrieben hatte. Aber es sollte unter vier Augen geschehen. Ich brauchte keine Zeugen.
    Am Nachmittag, als ich über eine Stunde lang in meinen erhabensten Gewändern (denn sie musste mich auch als König, nicht nur als Vater sehen) in der Hitze gesessen hatte, wusste ich,

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