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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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geradewegs verkauft oder verpachtet. (Mönche hatten ein Viertel, wenn nicht ein Drittel des englischen Grund und Bodens in ihrem Besitz.) In den meisten Fällen waren die Käufer benachbarte Großgrundbesitzer, die ihre Ländereien zu erweitern trachteten.
    Es gab immer solche Reformatoren, die meinten, das Land sollte unter den Bauern verteilt werden. Aber was sollten die Bauern damit anfangen? Nein, das Vermächtnis der Klöster würde ihnen auf andere Weise zufallen; es gab noch vieles neben dem Land. Land war wie ein Jagdfalke: Es braucht viel Pflege, Liebe und Kundigkeit. So wunderte es nicht, dass die Beiz der »Sport der Fürsten« war. Niemand sonst konnte es sich leisten, so viel Zeit und Mühe aufzuwenden.
    Das beliebteste Beutegut aus den Klöstern war das Blei aus den Dächern; diese wurden unverzüglich abgedeckt, und aus den Dach- und Deckenbalken wurden an Ort und Stelle Feuer entfacht, über denen das Blei geschmolzen wurde. Die zweitgrößte Nachfrage – vor allem in der Gegend von London – galt den behauenen Steinen der klösterlichen Gebäude. Sie wurden karrenweise fortgeschafft und fanden rasch ihren Weg zu den neuen Stadthäusern, die am Themsestrand emporwuchsen. Ich selbst eignete mir Bücher aus den Klosterbibliotheken an: Alte Schriftrollen und Manuskripte, manche fast aus römischer Zeit. Die Bronze der Klosterglocken diente mir zum Gießen von Kanonen.
    Die Gebäude selbst wurden anderen Zwecken zugeführt. Nicht selten wurde die Abteikirche in eine Pfarrkirche umgewandelt, und das Haus des Abtes mitsamt dem Keller und der Küche wurde die Villa eines wohlhabenden Kaufmannes, wobei das alte Torhaus ihm als Pförtnerkate diente.
    Ich will nicht so tun, als hätte ich keinen Gefallen an dem Gewinn gehabt, der dabei abfiel. In Wahrheit war die königliche Schatulle so gut wie leer, und das Einkommen aus den Klöstern war eine willkommene Füllung.
    In einem weiteren Sinne war die Auflösung der Klöster eine Erleichterung – als leerte man die Truhen eines Toten. Unangenehm ist so etwas immer; man erinnert sich dessen, was er einmal war, und schaudert bei dem Gedanken an das, was aus ihm geworden. Aber seine Habe muss nun aufgelöst werden, und es wäre verschwenderisch und geringschätzig, wollte man alles ohne weitere Begutachtung fortwerfen, wie zartfühlende Seelen es mitunter vorschlagen – als würde der Tote beraubt, wenn die Lebenden sich seines Besitzes weiter bedienen. Wir sind doch nicht wie die alten Ägypter, die alles für die Verstorbenen horteten und es den Lebenden missgönnten.

    Dann kam alles zusammen – jedes Fäserchen der Unzufriedenheit, der Nostalgie und des Widerstandes in ganz England – und verschmolz im Norden.
    Der Norden: zwei Worte – für eine Gegend und für einen Zustand des Denkens. England wurde von Süden an aufwärts erobert und zivilisiert, und je näher man den Grenzen Schottlands kam – durch Yorkshire erst, dann Durham, und schließlich durch Northumberland –, desto karger wurde alles. Die weiten Wälder wichen erst knorrigen Bäumen und dann offenen, windigen Mooren; die Städte schrumpften zu Dörfern und dann zu Siedlungen; an die Stelle bebauter Felder traten weite, wilde Flächen. Hier blühten die Klöster der Zisterzienser, die sich aus den Zentren der Zivilisation entfernt hatten und für die der Weg zur Heiligkeit mit Arbeit gepflastert war. Die Schafe wurden dürrer, ihre Wolle dicker, und die Menschen waren gesetzlos und lebten in verschlossenen Klangemeinschaften. Der Winter dauerte acht Monate, und auch der Sommer war grau und rau, was den Leuten in Northumberland Anlass gab zu behaupten, sie hätten »zwei Winter – einen weißen und einen grünen«.
    Seit alters waren diese Randlande ihrer eigenen Wege gegangen, und mit dem, was im Süden vorging, hatten sie wenig zu tun. Ein paar große Kriegerfamilien – die Percys, die Nevilles, die Stanleys – hatten die Oberherrschaft über diese wüsten, grausigen Einöden erobert, und durch sie hatte die Krone sich das Volk unterworfen. Aber das Volk wusste nichts von mir, und ich nichts von ihm. Alles, was ihnen je an Liebe oder Sanftmut widerfahren war, hatten die Menschen in den großen Zisterzienserklöstern gefunden: in Fountains, Rievaulx, Jervaulx, Kirkstall. Dorthin konnten sie sich vor einem Schneesturm flüchten, und dort fanden sie Wärme, Nahrung und Unterkunft. Dort, und nur dort, konnte ein Reisender die Nacht in Sicherheit verbringen. Und dort konnten sie lesen und

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