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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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und das ist mir zuwider. Irgendwie hatte ich mich daran »gewöhnt«, dass Jane im Herbst nicht da ist. Das alles jetzt noch einmal zu lernen … ein ganz neues Gebinde von Erinnerungen zu finden, und auch Dinge, die wir nicht mehr teilen können, die ich sehen kann und sie nicht. Gibt es deshalb das traditionelle »Trauerjahr«? Weil der Gram an jeder Ecke neue Überraschungen zutage fördert, solange man nicht jede Jahreszeit mit ihm durchlebt hat?
    Während es Winter wird, begreife ich etwas, gegen das ich mich angestrengt gewehrt habe: Jane ist jetzt Vergangenheit. Solange es noch derselbe Monat war, dieselbe Jahreszeit, war es, als wären sie und die Gegenwart eins. Aber jetzt beginnen sie, sich voneinander zu trennen. Es geschehen nun Dinge, die sie nicht sehen und von denen sie nicht wissen kann. Wenn nur genug solcher Tage vergehen, wird Jane vollends ein Wesen der Vergangenheit sein. Aber das will ich nicht! Ich will sie hier behalten, in der Gegenwart, bei mir – und wenn ich dazu jede Uhr im Königreich anhalten muss.
    Es heißt, »man muss sich in Gottes Willen fügen«. Wenn ich mich darein füge, ist sie wahrhaft fort.
    Gestern stand ich in ihrem Zimmer; es ist unverändert (ich habe niemanden auch nur ein Stück anrühren lassen; nur den Staub durften sie entfernen, der seit ihrem Tode auf alles gefallen war, denn er war ein Eindringling), und plötzlich wusste ich um die Trauer, die Sehnsucht, die sie verspürte, weil sie nicht würde zurückkommen können. Ist es das, was den Tod eigentlich ausmacht? Ein Zimmer zu verlassen und niemals zurückkommen zu dürfen? (Und es nicht zu wissen, wenn man geht?) Ist es wirklich nur etwas so Einfaches?
    Gestern habe ich sie gesehen. Nein, es war kein Traum, dessen bin ich sicher. Ich habe ja nicht einmal nach ihr ausgeschaut (wie ich es früher immer tat), und als ich sie dann sah, wie sie auf der London Bridge von einer Tür zu einer anderen ging, da war es wie … ich kann es gar nicht sagen. Wie ein Geschenk? Wie jener eine zusätzliche Augenblick, von dem ich sprach und der mir nun gewährt wurde? Ich konnte nicht mit ihr sprechen, ihr diese Fragen nicht stellen. Ich konnte ihr nicht einmal folgen. Aber sie war da gewesen. Sie sah … glücklich aus. Wie konnte das sein? Es erschien mir wie ein Verrat, dass sie glücklich sein konnte.
    Meine Treue war wie eine Topfpflanze, die im Hause steht. Einen Winter konnte sie nicht überstehen. Von Gottes wahrer Natur hatte ich bis jetzt nichts gewusst. Gott ist nicht »gut«. Er ist grausam. Und man kann nicht vorhersagen, was Er tun wird. Nicht im Gebet, nicht durch Wissen, nicht durch Einsicht.

    Diese Gedanken hielten mich gefangen, sie folterten mich so gut, wie wenn ich in einem Kerker an einen Pfeiler gekettet gewesen wäre. Ja, genauso fühlte ich mich – angekettet, gelähmt, gefangen, während die Ratten der Erinnerung, der Sehnsucht und des Verlustes in Schwärmen über mich herfielen, nach Belieben an mir nagten, mich verzehrten.
    Und dann fand eines Nachts, während ich schlief, eine merkwürdige Veränderung statt. Ich erwachte an jenem Morgen im Februar – fast drei Monate nach Janes Tod – voller Kraft und erbittertem Zorn. Ich schaute auf das Kruzifix an der Wand gegenüber, und ich verachtete Christus, der dort hing. Ich wollte Ihn töten, wäre Er nicht schon tot gewesen.
    Ich sah die schwarz verhangenen Wände, und ich verachtete auch sie.
    Glaubst du, ich werde weinen? Nein, das werde ich nicht tun! Nie wieder will ich dir dieses Vergnügen schenken!
    Es war Gott, den ich so anredete. Ich verachtete Ihn, und ich verachtete mich selbst für mein schwächliches Gewinsel und Gebettel, mit dem ich mich an ihn gewendet hatte. Wie musste es ihm gefallen haben! Wie musste er gelacht haben über meine Gebete, in denen ich ihn angefleht hatte, Jane zu verschonen; mit welcher Genugtuung musste er mein Elend gesehen haben, das durch diese widerwärtigen schwarzen Behänge noch augenfällig gemacht wurde. Gott hatte mir Jane geraubt; jetzt würde ich ihn meiner berauben.
    Ich werde einem anderen Herrn dienen, drohte ich Ihm. In allen Legenden hatte dies genügt, das Dunkle Wesen heraufzubeschwören. Unverzüglich hätte der Fürst der Finsternis (oder einer seiner niederen Dämonen) in meinem Gemach erscheinen müssen, einen Vertrag in der Hand. Darin hätten die Bedingungen gestanden: Soundso viele Tage, soundso viele Jahre für die eine (I) unsterbliche Seele des hohen und mächtigen Fürsten Heinrich

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