Ich, Heinrich VIII.
verschworen. In Cornwall hatte er Anhänger um sich geschart, die sich vorgenommen hatten, ihn zum König auszurufen.
Henry Lord Montague hatte den Tag nicht erwarten können, »da den König sein Bein umbringt; da wird ein munteres Treiben anheben«. (Welcher Spitzel hatte ihm mein Geheimnis zugetragen? Welcher Verräter hatte es entdeckt und offenbart?) Reginald Pole war als Gesandter des Papstes gekommen, um den Pilgern zu helfen, mir meinen Thron zu rauben. Mehr noch – der Papst hatte ihm England »anvertraut«. Diese Verratshandlungen wurden von Sir Geoffrey, ihrem Bruder, gestanden.
Und noch etwas Betrübliches: Nicholas Carew, mein alter Freund, hatte von diesem Verrat gewusst und mir dennoch nichts gesagt, und Edward Neville (mein Gefährte aus Kindertagen – der mit mir am Tage meiner Thronbesteigung zum White Tower geritten war) hatte sich der Verschwörung angeschlossen.
Die Vorhersagen meines Vaters waren eingetroffen.
Am Tag ihrer Hinrichtung begab ich mich zum Grab meines Vaters in der Westminster-Abtei. Noch nie zuvor hatte ich dieses Grab besucht, die bronzene Kuppel unter dem zierlichen Steingeflecht der Kapellendecke, die er in Auftrag gegeben hatte. Die Leute rühmten diese herrliche Kapelle und sprachen von ihrer Schönheit, aber ich hatte nie herkommen wollen, denn irgendwie hätte ich damit anerkannt, dass er etwas vollbracht hatte. Heute aber war ich bereit, diese Anerkennung zu geben, und ich konnte nirgends sonst hingehen.
In der Abteikathedrale war es kälter als draußen. An manchen Stellen waren Dach und Fenster undicht; Eispfützen hatten sich unter ihnen gebildet, durchscheinend und dick. Im ganzen weiten Kirchenschiff schien niemand zugegen zu sein. Die Seelenandachten – in denen gegen Entgelt Gebete für die Verstorbenen gesprochen wurden – hatten mit der Abschaffung des papistischen Missbrauchs hinsichtlich des Fegefeuers ein Ende gehabt. Die betenden, murmelnden Mönche gab es nicht mehr.
Ich musste den großen Chor durchqueren und dann an den Gräbern der Könige und Königinnen vorbeigehen: Maud, Edith, Heinrich iii., Heinrich V. (der große Soldatenkönig, der vollkommene Christ) und seine Königin Katharina de Valois. Sie war für mich immer nur ein Name gewesen, ein königliches Bindeglied zwischen Heinrich V. und meinem Ahnen Owen Tudor. Als ich jetzt an ihrem Marmorkasten vorüberkam, grüßte ich sie, und ich fragte mich, ob meine wollüstige Neigung zu bürgerlichen Weibern von ihr herrühren mochte. Gewiss hätte sie die Begierden und Vorlieben ihres Urenkels verstanden.
Die Kapelle meines Vaters war durch eine Treppe vom Kirchenschiff getrennt. Man erstieg sie, als erklimme man eine höhere Ebene des Lebens. Vor mir tat sich das große steinerne Kunstwerk auf, welches man als »das schönste im ganzen Christentum« beschrieb. Es glich einem Wald nach einem Eissturm, vor allem heute in seiner kalten Umhüllung: Das zierliche Flechtwerk von Ranken, Zweigen und Blättern war von weißer, schimmernder, spröder Härte ummantelt.
Vater ruhte hinter einem Zaun aus Schmiedeeisen und Bronze, der zu einer Miniaturkathedrale geformt war. Die Pforte war verschlossen, aber ich hatte den Schlüssel; ich öffnete sie und betrat seinen geheimen Garten aus Bronze und Gold. Als ich darin stand, war es, als hätte ich eine andere Welt betreten – süß, geschützt und zeitlos.
Er lag in einem mächtigen Sarkophag aus schwarzem Marmor, an jeder Ecke bewacht von einem goldenen Engel. Ein vergoldetes Bildnis seiner selbst ruhte auf dem Deckel, die Hände fromm gefaltet, die Füße auf einem Löwen. Neben ihm lag meine Mutter als goldenes Bild und betete wie er.
Seine Knochen waren in diesem Behältnis. Das goldene Bild war nicht mein Vater. Aber es fiel schwer, nicht dieses Bild anzureden, sondern den Kasten mit den Gebeinen. Kein Wunder, dass die Verehrung von Götzenbildern so schwer auszumerzen war.
Ich schritt einmal um das Grab herum, und plötzlich war ich mir meiner Körpermassen bewusst. Vater sah sie. Er sah das gewaltige, gebrochene Ding, zu dem sein athletischer, frecher Sohn herangewachsen war.
»Aber ich bin jetzt König, Vater.« Ich sprach meine Gedanken laut aus. »Ich benehme mich, wie es dir gefallen würde.« Ich hatte an seinem Grabe niederknien wollen, aber an dem marmornen Sarkophag gab es keine Kniebank, und der Steinboden war härter und kälter als Eis. Also blieb ich stehen. »Ich vertraue niemandem. Heute sehe ich die letzten meiner Freunde wegen
Weitere Kostenlose Bücher