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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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geleert worden. Das alles umhüllende Goldblech war davongeschafft worden; sechsundzwanzig ächzende Karren waren notwendig gewesen. An meinem Finger glühte der »Regale de France«, ein Rubin, den Ludwig vii. von Frankreich gestiftet hatte, als er den Heiligen um Hilfe für ein krankes Kind hatte bitten wollen. Ich hatte ihn in einen prächtigen Ring fassen lassen, umgeben von Saphiren, Diamanten und Smaragden, die aus dem goldenen Baldachin »geborgen« worden waren. Ich nannte ihn meinen »Becket-Ring«.
    »Meine lieben Ratsherren und geistlichen Berater«, begann ich mit leiser Stimme; sie war in diesem geringen Umkreis leicht zu verstehen, denn die Akustik war gut. »Wir sind hier, um einem verfluchten Verräter den Prozess zu machen. Da der Angeklagte nicht gefahrlos nach London reisen konnte, um vor Gericht zu erscheinen, haben wir das Gericht in Anbetracht seiner beschränkten Möglichkeiten hier zusammenkommen lassen.«
    Ich schaute in die Runde. Cromwells Gesicht zeigte einen angemessenen Ausdruck von Normalität. Die anderen blickten erschrocken, verblüfft oder unbehaglich drein.
    Ich nickte dem Wachtmeister zu. »Ihr mögt den Angeklagten aufrufen.«
    »Thomas à Becket, Erzbischof von Canterbury, erscheine vor Gericht.«
    Ich gab ein neuerliches Zeichen, und vier königliche Wachen traten an den Sarg und nahmen den hölzernen Deckel ab. Stille legte sich über unsere Schar.
    Ich musste den anderen ein Beispiel geben. Also näherte ich mich der dunklen Höhlung der eisernen Kiste und spähte hinein.
    Und während ich es tat, harrte ich gespannt, ja angstvoll dessen, was ich vielleicht sehen, was nun vielleicht geschehen würde …
    Nichts geschah. Es war schwierig, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Ich rief nach einem Kienspan und hielt ihn eigenhändig in den Sarg.
    Verrottete Priestergewänder umhüllten ein zerbröckelndes Skelett. Die Mitra war heruntergefallen und hatte einen Schädel entblößt, von dessen Wölbung eine dünne Scheibe entfernt war. Schmutz und Staub lagen einen Zoll tief auf dem Boden. Wie kam so etwas in einen verschlossenen Sarg?, fragte ich mich unwillkürlich.
    »Ihr mögt den Angeklagten in Augenschein nehmen«, forderte ich meine Ratgeber auf. Einer nach dem anderen kam heran und lugte in den Sarkophag, dessen Inneres von der Kienspanflamme erleuchtet wurde. Einer nach dem anderen kehrte an seinen Platz zurück.
    Als alle stumm dastanden und warteten, fuhr ich fort. »Dem Angeklagten, Thomas à Becket, wird Folgendes zur Last gelegt.« Ich entrollte ein beschriebenes Pergament. »Erstens: Das Verbrechen, seinem König Heinrich II . von England und Angevin getrotzt und ihn gedemütigt zu haben. Zweitens: Das Verbrechen, sich als Heiliger maskiert zu haben.«
    Oh, wie mir das gefiel: die Taten dieses undankbaren Verräters genüsslich aufzuzählen und dabei die ganze Zeit schon zu wissen, wie alles enden würde. Einen Feind zu zermalmen … Die Israeliten hatten dieses unübertreffliche Vergnügen gekannt, hatten es sogar in den Psalmen gefeiert. König David hatte anscheinend Feinde in hellen Scharen gehabt, und schamlos hatte er den Herrn gebeten, sie für ihn zu vernichten.
    »Ein gemeiner Mann, Becket, der das Vertrauen und die Freundschaft des Königs von England gewonnen hatte und nun als Mittel zur Förderung seiner eigenen Macht benutzte«, las Cromwell. »Nicht zufrieden damit, sich die Gunst des Königs erworben zu haben und einen vertrauten Umgang mit ihm zu genießen, der weit über das hinausging, was einem Mann seines Standes zukam, trachtete er nach dem Kanzleramt und erhielt es; sodann gelüstete es ihn nach der Erzbischofswürde, und er bekam sie. Es gelüstete ihn nach der Macht der Kirche, und als er alles bekommen hatte, was er begehrte, nutzte ihm der König nichts mehr. So stellte er sich gegen ihn, trotzte seinen Gesetzen, behinderte seine Erlasse und trieb Umgang mit seinem eingeschworenen Feinde, dem König von Frankreich.«
    Diese Vorwürfe wurden nun erörtert – aus Rücksicht auf juristische Spitzfindigkeiten. Dann aber verlangte ich das Urteil.
    »Des böswilligen Missbrauchs königlicher Zuneigung zum Zwecke seines eigenen Fortkommens in der Welt – schuldig oder nicht?«
    Die Antwort war ein Gemurmel. »Schuldig.«
    »Der Maskerade als Heiliger – schuldig oder nicht?«
    »Schuldig.«
    »Der krassen Undankbarkeit gegen seinen Souverän – schuldig oder nicht?«
    »Schuldig!« Ihre Begeisterung wuchs.
    »So sprechen wir dich, Thomas

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