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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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räumte ich ein.
    »Ja!« Sie quiekte. »Das wird er! Das wird er!«
    Ihre Nervosität schrieb ich der noch nicht ganz verebbten Erregung unseres gemeinsamen Treibens in der kleinen Schlafkammer zu.

    Der November war mild und freundlich; düsterer Nebel stieg aus den Wäldern, und in schwarzen, stillen Wassern spiegelten sich die kahlen Bäume, die über ihnen ragten. Einige letzte Blätter schwammen noch an der Oberfläche, aber sie waren ausgebleicht und schlaff, Gefährten der Finsternis, auf der sie trieben: Seelen, die am Ufer des Styx auf die Fähre warteten. Schwärme von Krähen kreisten am Himmel, erwählten sich einzelne Bäume als Sammelplätze. Schwarz glänzend ließen sie sich auf nackten Ästen nieder, sichtbar von weither. Vögel des Winters, die ihren zugewiesenen Platz einnahmen. Dieser melancholische Übergang zwischen dem bunten Herbst und dem stillen Winter war eine ganz eigene Zeit, eine Zeit, die mir nie ins Bewusstsein gedrungen war. Alles war ungewöhnlich gedämpft und monochrom. Und es hielt den Atem an. Ich konnte es fühlen.

XCV
    W ir verbrachten diese stillen Wochen mit geheimen Freuden in kleinen königlichen Landhäusern. Jeden Morgen erwachte ich lange vor der immer verschlafeneren Sonne und begab mich in den Stall, während Catherine noch schlummerte, und dann galoppierte ich eine oder zwei Stunden lang über weichen, schattenlosen Waldboden, dem Hirsch, dem Hasen und dem Wiesel nach. Und ich schwöre: Die Pferde waren eher müde als ich. Zweimal, manchmal dreimal musste ich das Reittier wechseln, bevor ich zum üppigen Mittagsmahl nach Hause zurückkehrte, und dann hatte ich brüllenden Hunger, und das Blut kribbelte mir in den Adern.
    Wenn ich zurückkam, war das Haus so lebendig wie ein Schotte, der zum Klang seines Dudelsacks tanzte. Ich liebte diese Betriebsamkeit. Ich fühlte mich dann wie ein Stammeshäuptling, umgeben von all seinen Kriegern und seiner ganzen Sippe.
    Eines Tages gegen Ende November – an St. Katharina, um genau zu sein – fiel Schneeregen, als ich die Zügel einem Rossknecht übergab und ins Haus stapfte. Ich war völlig durchfroren und begab mich zuerst in mein Gemach, um mir etwas Wollenes anzuziehen. Catherine war nicht da. Culpepper auch nicht. Aber Dereham stand mit finsterer Miene im Empfangszimmer; er zerknüllte Papiere und warf sie ins Feuer, und dabei murmelte er zornig vor sich hin. Er grinste höhnisch, als ein großes Stück in der Glut schnappte und barst. Ein unangenehmer Bursche, auch wenn er mit Catherine verwandt war. Müßig fragte ich mich, weshalb sie sich verpflichtet fühlte, ihm Zutritt zu ihrem Haushalt zu geben, und sei es nur vorübergehend. Er schien mir von einer üblen Sorte zu sein.
    Es war nur ein Gedanke, ein Eindruck, der mir wie eine Sternschnuppe durch den Kopf zog und ebenso schnell verschwand.
    Achselzuckend ging ich an ihm vorbei und betrat mein Gemach. Ein munteres Feuer erwartete mich dort, und eine schrullige Zeichnung von Catherine: eine Reihe erschöpfter Pferde, ein grinsender König und ein Berg Wildbret. Ich nahm das Blatt und strich zärtlich mit der Hand darüber; dann legte ich es zu den übrigen Gaben, die ich schon von ihr bekommen hatte. Sie war so liebevoll. Ihre schlichten, niemals einstudierten Gesten bedeuteten mir mehr als alles kultivierte Posieren der Hofdamen. Eilig lief ich hinunter zu ihr ins Speisezimmer. Sie erwartete mich bereits am hohen Tisch, der in diesem kleinen Hause allerdings ein roh gezimmerter, fleckiger Eichenholztisch wie jeder andere war; eine Estrade gab es hier auch nicht.
    »Mein Lord! Mein Lord!«, rief sie mit ihrer hübschen Stimme, und dann trommelte sie mit Messer und Löffel ihres Hirschhornbestecks auf den Tisch. Als hätte ich sie nicht sehen können! Sie war ganz in rosafarbenen Satin gekleidet; diese Farben sah ich an ihr am liebsten. Das braune Haar fiel ihr frei auf die Schultern, ungebändigt von einer Haube.
    »Aye, aye«, sagte ich freundlich und ging zu ihr. Als ich mich zwischen zwei Tischen hindurchzwängte, merkte ich mit Freuden, um wie viel schlanker ich geworden war und wie hart und kräftig meine Muskeln waren. Es war ein schönes Gefühl, seinen eigenen Körper zurückzugewinnen.
    »War die Jagd gut?«, erkundigte Culpepper sich eifrig.
    »Aye. Zwei Hirsche und ein Dutzend Hasen.« Ich setzte mich.
    Er lächelte. »Dann wollt Ihr morgen sicher wieder hinaus?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das Wetter ist umgeschlagen. Warum – wollt Ihr mich gern

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