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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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keine Überraschung, war kein Geschenk. Sie beanspruchte es als persönlichen Sieg, schleppte es nach Hause, wie die Jäger es mit den Hirsch- und Eberköpfen getan hatten, die in unserem Hochzeitsschloss die Wände schmückten.
    Sie war ein Kind, sagte ich mir immer wieder. Kinder packen ihre Geschenke an Ort und Stelle aus. Das wusste ich, und doch erwartete ich mehr. Oder weniger. Ihre prahlerischen Reden, ihr Stolzieren waren mir verhasst. Zugleich aber sehnte ich mich nach ihren Küssen, nach ihrer Begeisterung. Und nach ihrem süßen Fleisch. Wir blieben den ganzen Sommer hindurch in königlichen Landhäusern. Von Oatlands zogen wir nach Grafton in Northamptonshire. Der Sommer war heiß und trocken, was großes Unglück über das Land brachte. Eine Dürre: Das Wort schon hatte einen biblischen Unterton.
    Eine Dürre sandte Gott, wenn er das Volk strafen oder zumindest seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte. Aber davor erbebte ich nicht. Es konnte andere Gründe geben, weshalb Gott dem Lande so etwas auferlegte; ich dachte da nicht mehr ausschließlich in Kategorien von Sünde und Bestrafung, denn ich hatte schmerzhaft erkennen müssen, dass Gott größer und seine Wege verschlungener waren. Trotzig beschloss ich, die Dürre als das zu genießen, was sie war: die Gelegenheit, einen warmen, goldenen Sommer ungestört mit meinem jungen Weibe zu genießen.
    In der ersten Woche des August befahl ich dem gesamten Klerus, am Sonntag, dem achten August, in sämtlichen Messen für Catherine als Königin zu beten. So wurde meine Hochzeit im ganzen Land bekannt gemacht: Nicht durch Herolde oder fremde Botschafter, sondern einfach von der Kanzel.
    Niemand trat hervor und schmähte mich als König Ahab oder als David mit seiner Abischaj. Es gab keine Berichte über Unzufriedenheit oder böse Wünsche.
    Nicht, dass Catherine und ich davon gehört hätten; wir lebten sehr zurückgezogen auf dem Lande, und bei uns war nur ein notdürftiger Hofstaat und der Geheime Staatsrat. Selbst dieses wenige war verdrießlich. Jeden Morgen in aller Frühe kehrte ich, besinnungslos von der Liebe und ihren Anforderungen, halbwegs taumelnd in mein Privatgemach zurück und fiel in mein eigenes Bett. Culpepper pflegte mir Mantel, Pantoffeln und Goldkette abzunehmen und alles säuberlich auf meiner Kleidertruhe auszubreiten. Er zog die schwersamtenen Fenstervorhänge zu, und ich schlief bis mittags.
    Dann pflegte Culpepper mit verdrossenem Seufzen die Vorhänge aufzureißen. Heißes Sonnenlicht fiel mir aufs Gesicht oder brannte mir, wenn nicht im Gesicht, anderswo auf meinem Körper einen heißen Fleck auf die Haut. Einen heißen Fleck, der mich weckte.
    Ich regte und rührte mich und kehrte zurück in die Welt. In meinen Tagen und Nächten war das Unterste zuoberst gekehrt, und zwar in wollüstiger Weise. Ich stöhnte und reckte mich, brummte und kratzte mich.
    Culpepper erschien dann an meiner Seite mit einem dampfenden Becken voll orangenduftenden Wassers. Er wusch mich ausgiebig und schwieg die ganze Zeit. Es war mir bewusst, dass mein Fleisch unter seinen fordernden, kraftvollen Händen im Übermaß zitterte. Es hatte sich ungefähr ein Zoll überschüssigen Fettes angesammelt. Aber mein mit Eifer betriebenes Jagdprogramm ließ es schon schrumpfen.
    Jawohl, ich ging wieder auf die Jagd. Jeden Nachmittag hielt ich mir drei Stunden frei, um in dem stillen, trockenen Walde zu jagen. Ich ritt wie ein junger Mann – wie ich seit jenem Sommer 1531 nicht mehr geritten war, da ich mit Anne Boleyn auf der Jagd gewesen war. Neun Jahre zuvor. Was fügen neun Jahre dem Körper eines Mannes zu? Etliche behaupten, sie forderten einen unwiederbringlichen Tribut. Aber ich glaube – nein, ich glaubte: die betrübliche Hinzufügung eines kleinen t –, dass der Körper sich durch Willenskraft und Entschlossenheit unterwerfen und erneuern lasse. Das Geschwür an meinem Bein war nach und nach vergangen, und ich versuchte zu vergessen, dass es jemals existiert hatte. Fast wäre es mir gelungen.
    Nach den ersten paar Tagen im Sattel tat mir mein ganzer Körper weh. Ich wusste, dass dies in meiner Jugend nie so gewesen war. Jeder einzelne Muskel schien eine Stimme und seine eigenen nörgelnden Forderungen zu haben. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihm zu willfahren, zu sagen: »Na gut, du hast dir deine Ruhe verdient; immerhin bist du ja neunundvierzig.« An manchen Abenden hörte ich, wenn ich so einherging, einen ganzen Chor dieser Stimmen kreischen:

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