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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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regte, sah ich, dass ich fast allein war. Nur Cranmer war noch da und wartete diskret, dass ich meine stille Betrachtung beendete. Ein König in feierlicher Andacht durfte niemals allein gelassen werden.
    Ich beugte das Knie und schritt dann langsam den Gang hinauf, noch immer benommen von religiöser Entrückung.
    »Euer Gnaden – mein guter Lord –, vergebt mir«, sagte Cranmer und legte mir einen zusammengerollten Brief in die Hand. Er sah elend aus.
    »Was? Ist das die ganze Begrüßung? Ich habe Euch vermisst, Thomas, da wir getrennt waren.«
    »Ich Euch auch, Eure Majestät. Wahrlich.«
    »Ich werde alles, was Ihr in meiner Abwesenheit notiert habt, durchackern, das verspreche ich Euch. Heute Abend. Ihr habt Eure Sache gut gemacht.«
    »Der Brief … lest ihn zuerst, ich bitte Euch, ich …« Er sah so aufgebracht aus, dass ich gleich wusste, ihn plagte eine Rebellion im Gedärm.
    »Geht nur, Thomas«, sagte ich. Aber er blieb stehen wie ein geprügelter Hund. »Ja, ja, ich lese ihn gleich«, beruhigte ich ihn. Da schlich er davon, als habe er Schmerzen. Der Arme.
    Ich setzte mich auf eine hölzerne Bank in der langen Galerie vor der Kapelle und entrollte den Brief, um ihm eine Freude zu machen.
    Es war ein Scherz. Der Brief enthielt die Behauptungen eines gewissen John Lassells, seine Schwester Mary Lassells Hall habe ihm erzählt, Catherine Howard sei eine Hure; sie habe von frühester Jugend an allerlei Lasterhaftes mit den Männern im Haushalt der Herzogin getrieben, sich einem »Musiklehrer« hingegeben, als sie gerade dreizehn gewesen sei, und dann mit einem Cousin in unverhohlener Sünde gelebt, bis sie an den Hof gegangen sei.
    Wer war diese Mary Hall? Ich las den Brief noch einmal sorgfältig. Sie war vor ihrer Heirat als Dienerin im Hause der Herzogin zu Lambeth gewesen. Als ihr Bruder, ein glühender Protestant, sie fragte, weshalb sie nicht um eine Stellung bei Hofe einkomme, wie es die anderen Bediensteten aus Lambeth getan hatten, da hatte sie verachtungsvoll erwidert: »Diesem Weibe will ich nicht dienen! Sie ist unmoralisch im Tun wie im Denken.« Und dann hatte sie »Manox, einen Musiklehrer« und »Dereham, einen Gentleman« als Catherines Liebhaber benannt.
    Unsinn. Das war Unsinn. Die Protestanten rührten sich also wieder. Seit der ketzerischen Schlange das Haupt, nämlich Cromwell, abgeschlagen worden war, hatte sie sich ziellos gewunden. Ärger durchströmte mich. Nun hatte ich den Sommer damit zugebracht, die Ansprüche der Katholiken zunichte zu machen, dachte ich, und jetzt musste ich den Winter darauf verwenden, die Protestanten zu bändigen. Es belustigte mich, dass Cranmer diesen Köder so einfach geschluckt hatte. Aber ich hatte ja meine Protestanten in London zurückgelassen, gab ich mir selbst zu bedenken. Cranmer, Audley, Edward Seymour … sie würden für die Extremisten ein offenes Ohr haben.
    Nun, ich würde die Sache untersuchen lassen und dieser Mary Hall das Maul stopfen. Sie würde bereuen, dass sie solche Verleumdungen je ausgesprochen hatte. Müde befahl ich William Fitzwilliam, dem Lord Geheimsiegelbewahrer, Anthony Browne, dem Lord Admiral, und Thomas Wriothesley, dem Staatssekretär, Mary und John Lassells zu verhaften und Manox und Dereham zu verhören. Die Verleumdungen mussten aufhören.
    Bis dahin vergnügte ich mich von Herzen mit Catherine, wie zum Trotz.
    Drei Tage später kehrten meine Männer zurück. In meinem Arbeitszimmer berichteten sie mir im Vertrauen, dass sie die protestantischen Geschwister, den Musiklehrer und Dereham befragt hätten und außerstande gewesen seien, die Geschichte zu widerlegen. Ganz im Gegenteil.
    »Ich kann das nicht glauben!«, murmelte ich. »Sie müssen lügen. Oh, warum legen Protestanten ihre Falschheit erst über den Flammen des Scheiterhaufens ab? Verflucht sei ihr Fanatismus! Also gut, dann foltert sie! Zwingt die Wahrheit aus ihnen heraus!«
    Die Folter war verboten – außer bei Verrat, Aufstand oder Verratsverdacht.
    Catherine hatte für diesen Abend ein Mahl und eine »Belustigung« für mich geplant. Aber der Sinn nach Heiterem war mir vergangen; plötzlich wollte ich sie nicht mehr sehen und mich nicht mit ihr belustigen. Unvermittelt schickte ich ihr den Befehl, sich in ihre Gemächer zurückzuziehen und dort so lange zu warten, wie es dem König beliebte. Die Zeit des Tanzens sei vorerst vorüber.
    Des Königs Freude war zerstört, und nur der umfassende Widerruf dieser Schurken würde sie

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