Ich, Heinrich VIII.
hatte nicht einmal die Höflichkeit, mich von seinen Überlegungen in Kenntnis zu setzen. Er hatte mich in aller Öffentlichkeit versetzt, während ich wie eine sitzen gelassene Braut in der Kirche auf ihn gewartet hatte.
An diesem Abend stand mir der Sinn nicht nach Bankett und Mummenschanz; ich zog mich unverzüglich in meine Gemächer zurück. Sie waren behaglich; mein Gastgeber hatte alles fürsorglich vorbereitet und sogar jede zugige Ritze mit feinster weißer Wolle verstopft. Ich war müde und niedergeschlagen. Es war an der Zeit, dass ich mit dem Warten auf James aufhörte, meine Geschäfte hier im trostlosen Norden vollendete und nach London zurückkehrte.
Ich konnte nicht schlafen, obwohl ich früh zu Bett ging und einen süßen Schlaftrunk zu mir nahm. Schließlich beschloss ich, trotz der späten Stunde noch zu Catherine zu gehen.
Dies erforderte einen längeren Fußweg durch mehrere Räume, über eine Galerie und durch die Gemächer der Königin. Nur die Nachtwache stand jetzt noch auf ihren Posten. Die Gänge lagen verlassen. Eine einzelne Fackel brannte in jedem Raum; die übrigen hatte man gelöscht. Die königliche Residenz schlief.
Als ich mich der Tür zu ihren Gemächern näherte, erhob sich eine dunkle Gestalt von einem Stuhl in der Nähe und schwebte auf mich zu.
Ein Geist … zuerst dachte ich es wenigstens. Die wilde Fremdartigkeit der ganzen Region hatte mich schon in ihren Bann geschlagen. Denn ich hatte nicht erwartet, dieses Gesicht noch einmal wiederzusehen: Jane Boleyn, George Boleyns Frau. Sie, die ihren eigenen Gemahl verraten und gegen ihn ausgesagt hatte – damals, in jenen schmutzigen Tagen, da Anne gestürzt war.
»Aber Jane …«, wisperte ich.
»Eure Majestät.« Sie verbeugte sich tief. Tatsächlich, sie war es.
Sie richtete sich auf. Eine Kapuze nach der neuen Mode umrahmte ihr Antlitz, aber sonst war sie unverändert. Hässlich, mit langer Knollennase und dunklen, glänzenden Raubtieraugen, die zu dicht beieinander standen.
Es sah aus, als bewache sie die Tür. Aber dafür war doch die Garde da. Nein, ich bildete es mir ein – ich erinnere mich, dass ich dies noch dachte.
Ich klopfte an die Tür, und Jane streckte eine Hand aus, als wolle sie mich zurückhalten. Von drinnen antwortete niemand; offenbar lag alles in tiefem Schlummer. Vielleicht auch meine Catherine? Ich zog den passenden Schlüssel hervor (wir pflegten unsere eigenen Türschlösser bei uns zu tragen, um uns so vor Attentätern zu schützen, die sich vielleicht einen Schlüssel für das eingebaute Schloss verschafft hatten), aber Jane hielt meine Hand fest.
»Die Königin schläft«, sagte sie. »Sie hat mich gebeten, die äußeren Gemächer zu bewachen, damit sie nicht gestört werde.«
»Ich werde sie nicht stören«, beruhigte ich sie. »Ich werde auf einer Matratze am Fußende ihres Bettes schlafen, wenn es sein muss. Aber ihre Gegenwart wird mir helfen, Schlaf zu finden.«
»Sehr wohl.« Sie nickte steif.
Der Schlüssel passte, aber die Tür war auch von innen versperrt. Ich sah eine Eisenstange, die quer vor dem Türspalt lag, und eine mächtige Truhe war auch dagegengeschoben. So konnte ich mir keinen Zugang verschaffen, ohne ein großes Getöse hervorzurufen.
Enttäuschung durchströmte mich. Erst in diesem Augenblick begriff ich, wie sehr ich mich danach sehnte, bei ihr zu sein. Ich hatte ihr erzählen wollen, wie stolz ich auf sie war und wie mir das Herz zu bersten drohte, wenn ich sie als meine Königin vorstellte. Diese widerspenstigen Nordmenschen hatten immer Katharina von Aragon geliebt, und sie waren ihr treu geblieben. Aber jetzt gab es eine neue Königin, eine Catherine, die sie mit ihrer sanften Art und ihren reizenden Manieren bezaubert hatte, eine Catherine, die nicht den Makel des Protestantismus an sich trug, wie es bei Anne Boleyn, Jane Seymour und Anna von Kleve der Fall gewesen war. Sie hatte mich mit meinen abtrünnigen Untertanen und auch mit mir selbst versöhnt.
»Sie fürchtet sich vor Attentätern«, erklärte Jane Lady Rochford flüsternd. »Die Geschichten über die blutrünstigen Schotten haben ihr Angst gemacht.«
Das arme, sanfte Kind. Ich nickte. Die Geschichten genügten, um jeden in Angst und Schrecken zu versetzen. Ich verstand ihre Sorge. »Ich will sie nicht stören«, sagte ich. »Lasst sie nur schlafen, meine süße Königin.«
Am nächsten Morgen war sie in meinem inneren Gemach und versuchte, unter verlegenem Gestammel ihre behelfsmäßigen
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