Ich, Heinrich VIII.
wiederherstellen.
Ich schlief schlecht in dieser Nacht, wenn ich überhaupt schlief. Culpepper auf seinem Lager zu Füßen meines Bettes schlief ebenfalls nicht; ich hörte es an seinem Atmen. Normalerweise hätten wir uns die Zeit vertrieben, eine Kerze angezündet und ein Schachbrett aufgestellt. Aber eine tödliche Angst hatte mich ergriffen, und ich wollte keine Gesellschaft. Und so verbrachten wir die lange Nacht – ein jeder zwar im klaren Bewusstsein der Gegenwart des anderen, ein jeder aber auch absolut allein.
Ich war erleichtert, als der Morgen graute und es Zeit wurde, zur Messe zu gehen. Ich brauchte Gott; ich brauchte Trost. Eilig zog ich mich an und begab mich durch die lange Galerie zur königlichen Kapelle. Es waren wenige Leute dort; die meisten zogen es am Sonntagmorgen vor, eine spätere Messe zu besuchen.
Ich kniete nieder, ließ jeden zusammenhanglosen Gedanken, jede Befürchtung aus mir hervorströmen und brachte sie vor Gott. Die Kerzen flackerten auf dem Altar, und der Gottesdienst verlief ohne Zwischenfall. Ich bekam keine Antwort, fand keinen Seelenfrieden.
»… Dir, denn Du versprichst uns zu speisen, die wir geziemend empfangen haben dies heilige Geheimnis …« Draußen vor den Türen der Kapelle erhob sich ein Scharren und Poltern. Dann ein Schrei, schrill und durchdringend wie der einer Moorhexe.
»Nein! Nein!«
»… des Allerheiligsten Leibes Deines Sohnes, unseres Erlösers Jesus Christus, und da Du uns so Deine Gnade und Güte erweisest und …«
»Heinrich! Heinrich! Heinrich!«, schrie die Stimme, und mit jedem Mal, dass mein Name genannt ward, klang sie schwächer, wie aus größerer Entfernung.
Ich erbebte, obgleich ich nur drei Schritt weit vor dem Altar kniete und den Leib des Herrn in mir trug.
»… dass wir sind Glieder des einen mystischen Leibes …« Träumte ich? War ich der Einzige, der diese Schreie gehört hatte, die mir das Blut gerinnen ließen? Der Priester murmelte immerfort weiter, die Gläubigen flüsterten ihre Antworten.
Als ich aus der Kapelle trat, war der Gang draußen leer.
Am Abend sollte eine Sitzung des Geheimen Staatsrates in der Residenz Bischof Gardiners in Southwark stattfinden. Ich berief sie am Nachmittag ein, als Fitzwilliam mit weiteren Aussagen und Beweisen zu mir kam. Auf freiem Feld in der Gegend von Hampton, wohin ich mich unter dem Vorwand der Jagd, in Wirklichkeit aber, um allein zu sein, begeben hatte, erließ ich den Befehl an alle Ratsmitglieder, nach London zu kommen und an dieser Notsitzung teilzunehmen. Sie sollte geheim bleiben, und so begab ich mich gleich zur königlichen Barke, ohne noch einmal in den Palast zurückzukehren. Gerüchte machten in Hampton die Runde, und inzwischen wusste jeder, dass etwas nicht stimmte. Catherine hatte auf meinen Befehl in ihren Gemächern zu bleiben.
Vor mir in Gardiners prächtigem Ratszimmer saßen Audley, der Lord Kanzler, Thomas Howard, der zu diesem Anlass den Befehl erhalten hatte, nach London zu kommen, und jetzt erfreut und wichtig dreinblickte, William Petre, der Erste Sekretär, Brandon, Cranmer …
Ich hakte die Namen ab. Ja, sie waren alle da. Ich räusperte mich.
»Ihr Herren«, begann ich, »Ihr seid zu dieser widrigen Stunde hergerufen worden« – ich brach ab, redete dann entschlossen weiter –, »um über gewisse Dinge zu beraten, bösartige Vorwürfe gegen die Königin.« Ich schüttelte raschelnd ein Papier vor meinem Gesicht: die erste Aussage des Informanten. »Während wir auf Reisen waren, erhielten der Lord Erzbischof und der Staatsrat in absentia« – ich deutete mit dem Kopf auf Cranmer, Audley und Seymour – »Kenntnis von angeblichen Missetaten meiner … Gemahlin. Die Vorwürfe waren hinreichend schwer wiegend, sodass der Erzbischof sich bemüßigt sah, mir schriftlich Bericht zu erstatten. Inzwischen haben wir weitere Ermittlungen angestellt. Aber es ist eine verwirrende Angelegenheit, und ehe wir fortfahren, möchten wir sie Euch vollständig darlegen. Die Zeugen – und Beklagten – sollen offen sprechen, wo jeder sie hören kann.«
Das war unorthodox. Ich konnte selbst kaum glauben, was ich da sagte. Seit diese schreckliche Geschichte begonnen hatte, war alles wie ein fantastischer Traum, und ich fühlte mich wie ein Schlafwandler.
»Wir werden Schritt für Schritt nachvollziehen«, sagte ich. »John Lassells soll als Erster sprechen.«
Man führte einen älteren Mann herein; er sah aus wie die Verkörperung der Vernunft.
»Nennt Euren
Weitere Kostenlose Bücher