Ich, Heinrich VIII.
Namen und Euren Titel.«
Er verbeugte sich. »Ich bin John Lassells, wohnhaft zu London.«
»Nennt Euren Beruf.«
»Ich weiß, worauf Ihr abzielt; also lasst uns ehrlich sein und gleich alles offenbaren«, polterte er. »Ich gab das wieder, was meine Schwester Mary, die als Kinderfrau im Hause der Herzogin von Norfolk diente, mir antwortete, als ich sie fragte, warum sie nicht eine Stellung bei Hofe suchte. Mir schien, dass jeder, der die Königin dort gekannt hatte, um eine solche Stellung gebeten hatte. Da war Joan Bulmer, die von York her schrieb, und Katherine Tilney, die ihre Kammerfrau wurde. Warum also nicht auch meine Mary?«
Ich klopfte vor mir auf den Tisch. »Weiter.«
»Sie antwortete: ›Ich will der Königin nicht dienen. Ich habe vielmehr Mitleid mit ihr.‹ Ich fragte sie, warum, und sie sagte: ›Weil sie leichtfertig ist im Tun und im Denken.‹«
Ich schaute in die Runde. Alle blickten wie vom Donner gerührt.
»Und was meinte sie damit? Habt Ihr weiter nachgeforscht?«, fragte ich unberührt.
»Aye. Und sie sagte« – er zögerte, und seine Stimme schien zu verrinnen –, »da sei ein Musiklehrer gewesen, Manox, der sich gebrüstet habe, ihren Leib berührt zu haben und ein geheimes Mal an einer verborgenen Körperstelle zu kennen …«
Ein Mal wie eine kleine Leiter, ganz oben an ihrem Schenkel; eine Wunde war dort genäht worden, als sie noch ein kleines Mädchen war. Ich pflegte diese Leiter zu erklimmen; es war eines unserer Spiele: Meine Lippen waren Füße, und ich erstieg Sprosse um Sprosse, bis ich das Tor zu ihrem Schoß küssen konnte.
»… und dann wurde er von der Herzogin fortgeschickt; sie ertappte die beiden, wie sie einander liebkosten, nachdem sie sich beim Spinett eingeschlossen hatten.«
Musik … ein Musiklehrer … Mark Smeaton … Der Schmerz, den ich auf ewig vergangen geglaubt hatte, zerriss meinen Körper.
Nun führte man Mary Lassells Hall herein. Sie war so, wie ich sie mir vorgestellt hatte: Groß, hart, schmucklos. Rasch erzählte sie ihre Geschichte.
»Als der Musiklehrer entlassen war, kam ein neuer. Ein Francis Dereham, irgendein Vetter, ein Gefolgsmann des Herzogs von Norfolk. Er fand bald den Weg zu den Vergnügungen im Schlafquartier der Mädchen unter dem Dach und wurde ein beliebter Gast dort.«
Catherines Sommersekretär! Der Piratencousin! O Jesus, o Jesus …!
»Bitte erklärt das genauer.« Norfolk presste jedes Wort unter Qualen hervor. Er hatte Angst.
»Die Mädchen sollten nachts in einem Schlafsaal bleiben. Die Herzogin hatte befohlen, sie um acht Uhr einzuschließen. Aber sie schlief selbst in einem anderen Flügel des Hauses und war außerdem halb taub. Sobald sie sich zurückgezogen hatte – welch ein Fest! Alle wollüstigen Männer der Grafschaft trafen sich nachts in der Kammer dieser ›Jungfrauen‹. Sie kletterten zu den Fenstern herein, brachten Erdbeeren und Wein und befriedigten ihre Geilheit auf dem Weibe ihrer Wahl. Ihr einziges Zugeständnis an die Keuschheit bestand darin, dass sie einen Vorhang um das Bett zogen, wenn sie sich darin vergnügten.«
»Abscheulich!«, murmelte Norfolk.
»Euer Vetter, Sir William Howard, hatte einen eigenen Schlüssel«, versetzte sie steif. »Dieser Manox nun – als er sich von dem heidnischen Treiben ausgeschlossen sah, schrieb er der Herzogin einen schwatzhaften Brief darüber. Lord William Howard fürchtete entsetzt, seine Frau könne ihn ertappen. Er hatte sich mit einer fünfzehnjährigen Dirne vergnügt, wahrhaftig! So schalt er Manox und Dereham und sagte: ›Was denn, ihr verrückten Tröpfe! Könnt ihr nicht einfach fröhlich sein? Müsst ihr gegeneinander vom Leder ziehen?‹ Das Spiel war ihm verdorben, und das reute ihn.«
Ich wedelte mit der Hand. »Genug.« Mich kümmerte nicht, was Lord William Howard getan hatte. Nicht seinetwegen brach mir das Herz. »Ihr sagt, andere aus dem Haushalt der Herzogin hätten die Königin um eine Stellung gebeten?«
»Jawohl. Joan Bulmer, ihre Busenfreundin aus alten Tagen, dient jetzt als ihre Kammerfrau. Katherine Tilney ist ihre Bettzofe, Margaret Mortimer ihre Gewandmeisterin. Sie haben sich ihr Nest gut gepolstert und ihre Zukunft gesichert.«
So. Sie hatte also die verkommenen Erinnerungen an ihr früheres Leben mitgebracht. Zur Unterstützung ihrer bösartigen Pläne. Aber vielleicht hatte sie es ja nicht freiwillig getan; vielleicht hatten sie ihr gedroht …
»Edward Manox«, rief ich. Er kam herein und trat vor mich hin. Ich
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