Ich, Heinrich VIII.
kämpfen die Schlachten von Knaben. Nun, gute Nacht, Charles.«
»Gute Nacht, Charles«, wiederholte ich jetzt und berührte das Trauertuch. »Du hast die Wahrheit gesprochen. ›Erinnert Ihr Euch, wie wir das alles planten, zu Sheen?‹ Und wir haben es erlebt. Seine Träume zu erleben, das ist der höchste Lohn. Schlafe wohl, mein Freund. Ich werde bald bei dir sein.«
Ich wollte mich erheben, aber jetzt flutete alles wieder zurück. Der Druck seiner Hand zu Sheen, als er mich dabei ertappt hatte, wie ich über die Mauer kletterte. Wie er mich nach der Hochzeit mit Katharina von Aragon ins Ehebett geleitet hatte – und ich in meiner angstvollen Jungfräulichkeit. Wie er während des langen Wahnsinns mit Nan für mich eingetreten war und dafür sogar die Missbilligung seiner Frau in Kauf genommen hatte. Seine getreue Unterstützung nach Janes Tod. Plötzlich sah ich sein Gesicht in jedem Alter, hörte sein Lachen, fühlte seine Liebe, die Liebe, die immer zugegen gewesen war, mich getragen hatte. Die Liebe, die ich anderswo gesucht hatte, ohne je zu erkennen, dass ich sie die ganze Zeit schon besaß.
Jetzt war ich allein. Der einzige Mensch, der mich wirklich geliebt und der mich mein ganzes Leben lang gekannt hatte, war nicht mehr da. Brandon hatte mich geliebt, als ich noch der zweitgeborene Sohn gewesen war; er hatte auf meiner Seite gestanden, als Arthur noch Gunst und Einfluss auf sich vereinigt hatte.
Ich strich mit der Hand über den mächtigen Sarg. »Ich liebe dich«, sagte ich, wie ich es nie zu einer Frau gesagt hatte.
Und wie um ein Gelübde zu besiegeln, drückte ich mit der Hand auf den schwarzen Samt, hielt ihn fest für lange Zeit, bis ich diskretes Husten im hinteren Teil der geräumigen Kapelle vernahm. Die offizielle Wache wartete darauf, den ihr zugewiesenen Platz am Katafalk einzunehmen und die ganze Nacht dort zu verharren. Ich beraubte sie der Gelegenheit, dies zu tun; es war schon nach zwei, und bald würde der Morgen grauen.
Der Morgen und der Tag, da Brandon begraben würde. Ich nahm die Hand fort und überließ ihn seiner Ruhe, wie ich selbst nun ruhen wollte in der kurzen Spanne der Dunkelheit, die mir noch blieb.
CXXIX
S taatsbegräbnisse wurden, wie alle formellen Staatsakte, vom Protokoll beherrscht. Meine Großmutter Margaret Beaufort hatte die Regeln, die am Kindbett, bei der Hochzeit und bei der Bestattung zu befolgen waren, genau festgelegt. Sie hatte geglaubt, dass jedes davon mit einem göttlichen Mysterium versehen sei und dass ein bestimmtes Ritual dieses Mysterium erschließen und uns die Gnade spenden werde, den daraus folgenden Zustand zu erleben. Vielleicht war es auch so. Ich jedenfalls begnügte mich damit, ihre Regeln zu befolgen und darauf zu vertrauen, dass Gott sie dazu angeleitet hatte.
Die Begräbnisfeier sollte um acht Uhr morgens beginnen, und zwar mit einer Staatsprozession, gefolgt von einem Requiem. Die ganze Nacht hindurch hatte die Totenglocke für den Herzog geläutet. Dann begannen die »Neun Schneider«, neun Glockenschläge, die verkündeten, dass ein Mensch gestorben war, gefolgt von sechzig Schlägen, einem für jedes Jahr seines Lebens.
Ich war der Hauptleidtragende, und so hatte ich mich ganz in Schwarz, zu gewanden, einer Farbe, die ich verabscheute.
Der Sarg wurde zur Kapelle hinausgetragen, damit eine kurze Begräbnisprozession, ein Leichenzug, stattfinden konnte. Das Gespann – ein Leichenwagen und sechs Rappen mit Brandons herzoglichen Schabracken – sollte ihn durch den langen Mittelgang der Kapelle fahren, eskortiert von lodernden Fackeln, derweil die Totenklage intoniert wurde.
Ich hatte die englischen Stände zusammengerufen, und alle waren gekommen. Ich schaute nach rechts und links und sah, dass der ganze Geheime Staatsrat versammelt war und auch die Prälaten Englands mit Cranmer an ihrer Spitze, bereit, die Requiemsmesse zu zelebrieren. Ich nahm als Hauptleidtragender meinen Platz neben dem Katafalk ein.
Cranmer erhob sich. Die Ministranten erschienen mit flammenden Fackeln und stellten sich auf ihre Plätze rings um den schwarz verhangenen Katafalk. Der Chor begann mit dem Totengesang.
»›Ich bin die Auferstehung und das Leben‹«, verkündete Cranmer vor dem Sarg. Die Trauernden standen auf. »›Wir haben nichts in diese Welt mitgebracht, und es steht fest, dass wir nichts mitnehmen werden. Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gebenedeit.‹«
»Amen«, antwortete die
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