Ich, Heinrich VIII.
da.«
»Sie sollen ja von anderen benutzt werden. Ich hoffe, dass sie auch in späteren Jahren, wenn ich nicht mehr da bin, um meine Erlaubnis zu geben, weiter den inneren Bedürfnissen der Menschen von Nutzen sein werden.«
Ich sah ihn an. Ich glaubte ihm seine Worte, sie waren wahr und kamen von Herzen. Als Künstler war er vornehm. Aber als Mensch war er kleinlich, unstet und boshaft. Wie hatten sich diese beiden Seiten miteinander verflechten können?
»Man hat mir von Euren Schwierigkeiten in Boulogne berichtet«, sagte ich schließlich, obwohl es mir widerstrebte, den Bann zu brechen – den Bann, der uns als Weggefährten in der Kunst vereinte. Aber jetzt mussten wir wieder Herrscher und Untertan sein. »Was mag der Grund dieser Probleme gewesen sein?«
»Die Stadt ist ein Bankert Englands«, antwortete er. »Wir behalten sie – aber wie lange? Was Tournai betrifft, so sahen wir uns verpflichtet, es England einzuverleiben. Gewaltige Summen wurden darauf verwendet, es zu unterhalten. Franzosen, Bürger von Tournai, sollten Sitze im Parlament bekommen. Aber jedermann weiß, dass Boulogne nur eine Schachfigur im Kriege ist, die gegen ein Lösegeld an Frankreich zurückgegeben werden wird. Wer also wollte sich deshalb Mühe machen? Die Männer sind unruhig, und Ordnung zu halten ist schwer.«
Ich seufzte. Was er sagte, traf zu. Boulogne weiter zu versorgen und zu verteidigen würde enorme Kosten erfordern, und die Geldreserven, über die ich 1513 verfügt hatte, besaß ich nicht mehr. Die Wahrheit war, dass ich mir Boulogne nicht leisten konnte, wie ich mir Tournai geleistet hatte.
»Nun, tut Euer Bestes«, sagte ich. Ich wusste, er wartete darauf, dass ich ihm meinen endgültigen Plan für Boulogne offenbarte. Und, o ja, ich hatte einen: Ich wollte es mit Calais vereinigen und den englischen Besitz dort verdoppeln. Aber alles das erforderte Kapital, Kapital, das ich nicht hatte. Schon für die Eroberung von Boulogne schuldete ich den Geldverleihern in Antwerpen gewaltige Summen, und dazu die Zinsen.
Ich war müde. »Ich danke Euch, mein Junge«, sagte ich. »Ihr dürft jetzt gehen.«
Er verbeugte sich steif, offenbar verstimmt.
»Ich nenne Euch ›mein Junge‹, weil Ihr der Freund meines Sohnes wart«, fügte ich hinzu.
Er lächelte ein wenig. »In der Mappe, die Ihr da habt, ist ein Gedicht über unsere Jahre in Windsor. Ich trauere immer noch um ihn«, sagte er.
»Ich auch.« Nun waren wir wieder zwei Poeten. »Gute Nacht, Henry.«
»Gute Nacht, Eure Majestät.«
Jetzt war ich allein. Die Kerzen tanzten und flackerten, und mir fiel noch ein Grund ein, weshalb Windsor mir verhasst war: Mein Sohn hatte hier seine kurze Blütezeit durchlebt. Er hatte Farbe auf die toten grauen Steine gebracht, sie für kurze Zeit zum Leben erweckt. Aber Windsor war der Tod. Nichts überlebte hier.
Ich begann, durch die Gedichte zu blättern, und suchte nach dem, welches sein Leben feierte. Surreys Mappe war so schmächtig. Viel zu schmächtig, als dass man ihr eine Reputation oder ein Gedenken hätte anvertrauen dürfen.
Wie kann nur, ach, ein Kerker mir so grausam sein?
Surrey hatte das Gedicht also im Gefängnis geschrieben. Seine Haft hatte geholfen, meinen Sohn für mich wieder zum Leben zu erwecken, sei es auch nur für einen Augenblick.
Ich wusste, was ich tun musste. Zu Brandons Sarg musste ich gehen, der vor dem Hochaltar stand. Dort würde ich ihm Lebewohl sagen, allein und ungestört.
Die Kirche war leer. Der große Katafalk stand wie ein Gebäude für sich groß und kantig vor dem Altar und verdeckte ihn. Ringsherum flackerten Kienspäne, die Stunden zuvor angezündet worden waren und inzwischen halb heruntergebrannt blakten. Sie warfen ein gespenstisches, heidnisches Licht auf den Sarg und tanzten wie Opferjungfrauen.
Ich kniete auf den Steinstufen nieder. Ich schloss die Augen und versuchte, Charles vor mir zu sehen, versuchte mir vorzustellen, dass er wirklich hier sei. Mein Kopf wusste, dass sein Leichnam irgendwo in dem großen, schwarz drapierten Kasten lag, aber mein Herz konnte ihn dort nicht finden. Charles … was waren seine letzten Worte gewesen?
An dem Abend, da er an Bord der Great Harry gekommen war … was hatten wir gesagt, als er sich verabschiedet hatte?
»Es wird eine lange Nacht werden«, hatte ich gesagt. »Meine Gedanken gehen mit Euch.«
»Leben heißt, gegen die Franzosen kämpfen. Erinnert Ihr Euch, Euer Gnaden, wie wir das alles planten, zu Sheen?«
»Alte Männer
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