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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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entziffern, welche Geschichte sie erzählten. Brandon war tot. Was scherte mich die Geschichte von Esther?
    Ich kniete da und versuchte, etwas zu fühlen. Aber alles, was ich fühlte, war Leere. Sengenden Schmerz hätte ich empfinden müssen. Warum war da kein Schmerz?
    Ich erzählte es Kate, als sie erwachte. Sofort saß sie aufrecht im Bett. »Gott gebe ihm Frieden«, sagte sie. »Und du? Ich weiß, du trauerst.«
    »Noch nicht«, gestand ich. »Noch nicht ganz. Noch fühle ich gar nichts. Als sei ein Eisblock in meinem Herzen, der es gefangen hält.«
    »Es wird kommen«, versicherte sie mir. »Du wirst alles fühlen, aber erst später. Ich verstehe es nicht, aber so geht es.« Sie war jetzt aufgestanden und legte ihre Gewänder an. »Das Gefühl kehrt erst zurück, wenn der Mensch begraben ist.«
    »Aber ich sollte etwas fühlen, nicht nur dieses im Eis erstarrte Nichts!«
    »Du fühlst, was Gott dir zu fühlen erlaubt. Wenn du jetzt nichts fühlst, dann hat es seinen Sinn. Gott will, dass du andere Dinge fühlst.«
    Gott, Gott, Gott. Ich hatte genug von Ihm und Seinen launischen Einfällen.
    »Soll ich mich jetzt etwa nur um den Krieg gegen Frankreich kümmern? Weil England in Gefahr ist?«
    »Offensichtlich«, sagte sie und lächelte. »Alles zu seiner Zeit. Gott entscheidet, was an der Reihe ist.«
    Ihr Glaube war so einfach und so süß. Aber das »Einfache« gleitet leicht hinüber ins »Einfältige«.

CXXVIII
    Z u Whitehall waren alle Kuriere versammelt: sie erwarteten mich, und es schien, als sei nirgends sonst im Reich etwas geschehen.
    Nur Brandon war tot.
    Die englische Flotte lag noch im Solent vor Anker und harrte meiner Befehle; die Franzosen lauerten außer Sichtweite. Nirgendwo an der Südküste waren sie gelandet. Auch nicht in Schottland. Franz hatte das Versprechen, das er ihnen gegeben hatte, nicht gehalten, wie er seine Versprechen ja nie hielt. Jetzt würden die Schotten vielleicht einsehen, mit wem sie sich da verbündet hatten.
    Jenseits des Kanals, in Boulogne, war es ruhig. Das Interesse der Franzosen lag vorläufig anderswo. Aber Henry Howard hatte Probleme, die Disziplin und Moral unter seinen Leuten aufrechtzuerhalten. Ständig kam es unter ihnen zu Streiterei und Zank. War es seine Schuld oder ihre?
    Ich gab Befehle: Die Flotte sollte den Franzosen nachsetzen, sie in die Enge treiben, mit ihnen kämpfen. Auch wenn die Mary Rose verloren war, glaubte ich, könnten wir die französische Flotte verkrüppeln, auf dass sie wie ein krankes Kind zu Franz zurückhumpelte. Der Graf von Surrey sollte nach England zurückkehren, um bei dem Staatsbegräbnis für den Herzog von Suffolk dabei zu sein. Die Armeen sollten überall ihre Stellungen halten.
    Wie ich die meine halten musste. Um meine Gesundheit, die sich durch den Feldzug auf dem Kontinent anfangs so gut erholt hatte, war es jetzt immer schlechter bestellt. (Hier kann ich es ungefährdet niederschreiben.) Wasser sammelte sich in meinem Bein, sodass ich manchmal kein Gefühl mehr darin hatte; es war dann geschwollen und hässlich. Das offene Geschwür, Jesus sei Dank, erwachte nicht wieder. Aber ich fürchtete doch, dass es sich jede Stunde öffnen könnte.
    Und (ich zögere selbst hier, es aufzuschreiben) … es gab Nächte, da glaubte ich, die Mönche wieder zu hören. Die, die in meinem Gemach gewesen waren, als … in jener Zeit nach Catherines Hinrichtung. Sie standen in den Ecken, und aus ihren Mündern kamen immer die gleichen Worte. Aber jetzt wusste ich, dass sie nicht wirklich da waren, und so achtete ich ihrer nicht weiter. Warum suchten sie mich immer noch heim? Ich hatte nichts getan, sie zu ermutigen. War es, weil sie einen geschwächten Mann witterten?
    Schwäche. Sie lockte alle Schakale hervor, und sie schnappten und knurrten und balgten sich über ihrem Opfer. Aber ich war gewitzter als sie, diese Schakale, die sich in meinem Königreich und in meinem Staatsrat herumtrieben. Sie hatten nur ihre Nasen, mit denen sie einen kranken Mann witterten; ich aber hatte noch meinen Verstand und meine Macht. Ich würde die Schakale entzweien, würde sie überlisten, und am Ende würden sie mir nur dienen. Ja, so sollte es sein …
    Alles würde gut werden.
    Nur Brandon war tot.

    Ein Staatsbegräbnis ist eine Ehrfurcht gebietende Sache. Ich hatte nie eines erlebt, nicht als Erwachsener. All das Protokoll, all die Rangordnungen und Privilegien, die zu beachten waren – und Mittelpunkt des Ganzen ein fühlloser Leichnam.
    Der

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