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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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ich seine Worte hörte, hatte ich die ersten Bande zu More geknüpft, die mich dann so fatal an ihn gefesselt hatten und nach denen ich mich wider Willen trotzdem immer noch sehnte. Das Ich meiner Kindheit, mein junges Ich, mein bestes Ich, erwachte an Brandons Sarg noch einmal für einen Augenblick zum Leben – erwachte und wurde bald darauf ausgelöscht.
    »Der Herzog von Suffolk war ein treuer Ritter«, sagte ich, »und einen treueren kannte ich nie. Niemals verriet er einen Freund, und keinen Feind schlug er je mit Hinterlist.« Ich schaute auf den Staatsrat hinunter, eine Bande von Streithammeln: neidisch, nachtragend, giftig. Unter ihren Trauerkapuzen (auf Kosten des Königs erstanden) sahen sie friedfertig aus, wie idealisierte Mönche. Aber ich kannte sie. Oh, wie gut ich sie kannte!
    »Kann einer von Euch das Gleiche von sich sagen?«
    Ich fuhr fort und verbreitete mich über die Großtaten des Herzogs im Kriege, vor allem über seinen Frankreichfeldzug, den er 1522 allein bestritten hatte; er war dicht davor gewesen, Paris selbst zu erobern. »Nur der Winter und fehlender Nachschub hinderten ihn daran. Wie ein treuer Ritter gehorchte er stets seinem Herrn. Selbst wenn dieser Herr« – Unrecht hatte, wollte ich sagen, aber das war hier nicht der rechte Gedanke – »ihm Befehle gab, die er nicht verstand. Als Ritter hatte er geschworen, sie auszuführen. Und als Ritter tat er es auch.«
    Es waren die Glieder einer Kette. Brandon schuldete mir Gefolgschaftstreue und musste auch meinen verwirrenden und widersprüchlichen Befehlen gehorchen (»Kämpft gegen die Franzosen«; »Nein, lasst ab von Paris, denn uns fehlen die Mittel«), und ich schuldete meine Treue Gott, dessen Befehle noch verwirrender und widersprüchlicher waren. Gleichviel: Wir beurteilten einen Ritter nach seiner Loyalität und seiner Beharrlichkeit, nicht nach seiner Einsicht in das, was er tat.
    Cranmer gab mir ein Zeichen. Meine Zeit war beinahe um.
    Meine Zeit war beinahe um,
    Ich ließ meinen Blick über die Trauergemeinde wandern, und plötzlich spürte ich: Dies war mein Begräbnis, und dies waren meine Trauergäste.
    Denn würde ich nicht auch in diesen Boden gebettet werden? War es nicht eine Tatsache, dass mein Sarg auf demselben Katafalk stehen würde?
    Dies war die Probe zu meinem eigenen Begräbnis. Wo ich jetzt stand, würde ein anderer stehen. Ansonsten war alles genauso. Derselbe Staatsrat, in Trauerverkleidung. Derselbe Cranmer, der sich eilte, den Gottesdienst zu Ende zu bringen.
    Am Rande des Sargs stand ein Räucherfass, aus dem orientalische Rauchwolken aufstiegen, dick und geheimnisvoll.
    Auch auf meinem Sarg würde es stehen.
    Ich starrte es an. Du wirst da sein, dachte ich, und ich nicht mehr? Du wirst mich tot sehen, und ich werde dich nicht mehr sehen? Du wirst qualmen, und ich werde nicht atmen?
    Dies zu wissen, als unumstößliche Tatsache zu kennen, war entsetzlich.
    Plötzlich ertrug ich es nicht mehr, dazustehen und Zeuge meines eigenen Endes zu sein. Ich zitterte, als ich Brandons Turnierhelm auf die kalten Steine stellte – den Helm, den ich hundertmal vor mir gesehen hatte, den er auch getragen hatte, als ich vergessen hatte, mein Visier zu schließen … Herr Jesus, ich sah ihn immer noch, wie er auf dem mächtigen Körper saß, donnernd auf mich zukam … Kalt und eingekerkert lag der Körper jetzt hier, und ich hielt den Helm in den Händen.
    »Dieser Helm war ihm teuer. Er war das Emblem seines Rittertums. Er soll auf diesem steinernen Pfeiler befestigt werden und dort bleiben auf alle Zeit. Das ist mein Befehl.«
    So würde er da sein und sehen, wie man mich in die Gruft hinabsenkte.
    Nein, nein. Das konnte ich nicht glauben. Ich konnte es nicht begreifen …
    Cranmer winkte, und die Grabdiener traten vor, um den Katafalk zu dem großen, gähnenden Grab zu schieben, das man für ihn geöffnet hatte. Man hatte die Bodenplatten aufgehoben und säuberlich abseits gestapelt; nun lockte ein tiefer, dunkler Schacht.
    Cranmer ging zweimal um den Sarg; er besprengte ihn erst mit Weihwasser und schwang dann das Räucherfass. Jetzt sah Brandons Sarg aus wie ein Sommermorgen – glitzernd von Tau, verhüllt von Nebelschleiern.
    Geschickte Vorrichtungen befreiten den eigentlichen Sarg von all seiner Zier – von Samt und Fahnen und Blumen – und führten ihn an den Rand des Loches. Die Männer dort wussten, was sie zu tun hatten. Sie waren alt und erfahren. Sie wussten, wie man Seile unter den Sarg schob, ohne

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