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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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mir Loyalität und grüßten mich als ihren gesegneten König. Verlegen dankte ich ihnen und setzte meinen Weg in die Gemächer meines Vaters fort. Und überall in den Korridoren war es das Gleiche: Reihen von Menschen, die auf die Knie fielen. Wie hatte es sich so schnell herumsprechen können? (Damals wusste ich noch nicht, dass Neuigkeiten innerhalb der Palastmauern schneller von einem Ort zum anderen gelangen als der geflügelte Gott – manche sagen gar, etwas spricht sich herum, schon ehe es geschehen ist. Aber ich hatte nur einen Gedanken: Werde ich nie wieder allein sein?)
    Endlich (nach einer Ewigkeit, wie mir schien) erreichte ich die Wachstube, den äußersten Raum der königlichen Gemächer. Ich zog die schwere Tür auf und erwartete, dahinter selige Einsamkeit zu finden. Und ich wurde nicht enttäuscht: Der weitläufige Raum, mit verblichenen Gobelins und altmodischen Rüstungen ausstaffiert, schien leer zu sein. Hier pflegten die Leute auf eine Audienz beim König zu warten. Mir kam der Gedanke, dass Vater den Raum wahrscheinlich mit Absicht so trist und unbehaglich wie möglich eingerichtet hatte, um die meisten Bittsteller schon zu entmutigen, noch bevor sie an die Reihe kämen. Selbst jetzt, gegen Ende April, war es kalt hier.
    Am hinteren Ende befand sich die Tür zum Audienzsaal, zum Thronsaal. Als ich darauf zuschritt, bemerkte ich eine Bewegung; ein Priester löste sich aus dem Schatten und ging ebenfalls auf die Tür zu. Es war Wolsey.
    »Euer Gnaden«, sagte er. »Ich stehe bereit, Euch zu helfen. Als Almosenier des verstorbenen Königs bin ich wohlvertraut …«
    Schon also stürzten sich die Vorteilssucher auf mich. »Ich bin selbst wohlvertraut mit dem verstorbenen König«, fiel ich ihm ins Wort.
    »Ihr missversteht mich, Euer Gnaden. Ich sprach von den … betrüblichen Pflichten, die durch das Hinscheiden des Königs entstehen. Die Totenmesse, die Trauerfeiern, das Begräbnis …«
    »Vater hat bereits für alles Vorkehrungen getroffen.« Ich zog am Türgriff, doch irgendwie gelang es ihm, mir in den Weg zu treten.
    »Freilich, was die letzten Einzelheiten angeht.« Er blieb beharrlich. Er war über die Maßen beharrlich, dieser Wolsey. »Das prachtvolle Grabmal, das er bei Torrigiano in Auftrag gegeben hat, die hinreißende Kapelle in der Abbey, die fast fertig ist. Aber die persönlichen Dinge, Unseligkeiten wie die Einbalsamierung, die Aufbahrung, die Totenmaske …«
    »Nichtigkeiten«, sagte ich und versuchte wieder, mich von ihm zu lösen.
    »Scheußlichkeiten«, widersprach er entschieden. »Hässliche Dinge, derweil Ihr doch in Gedanken mit anderem beschäftigt sein solltet. Ihr habt Euch jetzt um vieles zu kümmern, nicht wahr? Wo aber ist der Sohn, welcher freudig das Begräbnis seines Vaters beaufsichtigte? Und freudig müsst Ihr sein, Euer Gnaden: Ihr müsst frohlocken, wie es auch das Königreich tut. Keine Düsternis, denn sonst erinnert Ihr das Volk an …« Taktvoll brach er ab; es war ein wohl geübtes Verstummen. Dennoch hatte er einen entscheidenden Punkt berührt.
    »So übernehmt es denn!«, rief ich hilflos.
    Er verbeugte sich in gelassenem Gehorsam, und ich riss die Tür auf und gelangte endlich in den Audienzsaal, wo ich allein war.
    Ich überquerte die weite Fläche; alles war seltsam schlicht, trotz der Estrade mit dem geschnitzten Thronsessel. Dieser war so gestellt, dass ein Bittsteller den ganzen Saal durchqueren musste, ehe er dem König ins Angesicht schauen konnte. Es tat zweifellos seine Wirkung, aber der überwiegende Eindruck, den dieser Saal vermittelte, war der von grauer Trostlosigkeit, und daran konnte auch die Gegenwart des Königs nichts ändern.
    Von hier aus gelangte ich als Nächstes in Vaters Privatgemächer, dorthin also, wo er eigentlich lebte. Aber er war tot, erinnerte ich mich …
    Die große Kammer, die erst kürzlich in ein Sterbezimmer verwandelt worden war, hatte sich schon wieder verändert. Die Rauchfässer waren fort, und die Vorhänge waren offen. Und das Bett war leer.
    »Wohin habt ihr ihn gebracht?«, rief ich.
    »Der Ruf der Maria Magdalena«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich fuhr herum und erblickte Wolsey. Wieder Wolsey. Er musste mir gefolgt sein. »›Sie haben meinen Herrn fortgenommen, und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben.‹«
    »Sucht Ihr mich mit Euren Kenntnissen der Heiligen Schrift zu beeindrucken?«, fragte ich sanft. »Derlei weiß aber jeder Priester, und auch ich. Ich will wissen, wohin man ihn

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