Ich, Heinrich VIII.
am nächsten Morgen ging ich wieder in Vaters Privatgemach, und am übernächsten, und am darauf folgenden. In Wahrheit war es kein Privatgemach mehr; es wimmelte von all denen, deren Aufgabe es war, sich um einen sterbenden Monarchen zu kümmern. Linacre und zwei weitere Ärzte mussten beständig an Vaters Seite bleiben; an der anderen Seite hatten zwei Priester ihren Platz, der eine, um die letzte Beichte abzunehmen, der andere, um die Letzte Ölung zu gewähren, derweil ein dritter vor dem Altar am anderen Ende des Raumes die Messe las. Rechtsanwälte harrten in der Nähe, um den König bei der üblichen Generalamnestie für alle Sträflinge im Reich, die nicht wegen eines Kapitalverbrechens verurteilt waren, zu beraten. Krankenschwestern und Diener kamen und gingen in stetem Strom wie Ameisenkolonnen mit Speisen und Arzneien und Leintüchern. Auch sein florentinischer Bildhauer Torrigiano kam, um sich mit ihm über das Grabmonument zu beraten, das Vater für seine Gruft in Westminster Abbey, wo man schon seit einigen Jahren an seiner privaten Grabkapelle baute, in Auftrag gegeben hatte. Vater war gründlich bis zum Ende.
Vieles blieb ungesagt zwischen uns; zweifellos hatte er auf seine gewohnt ordentliche Art vorgehabt, es bis zum Schluss aufzubewahren. Da er aber noch nie gestorben war, wusste er nicht, dass er dann keine Zeit mehr dazu haben würde und dass wir nicht mehr ungestört sein könnten. So, nun standen Maria und ich (Margaret hatte ja sechs Jahre zuvor den schottischen König James IV . geheiratet und lebte nun im hohen Norden) hilflos und deplatziert herum. Der König schaute Maria oft und lange an, und ich glaube, er sah ihre Mutter in ihr. Maria war jetzt dreizehn, ein schlankes, hübsches Mädchen.
Am vierten Tag verschlechterte sich sein Zustand, und er bekam kaum noch Luft. Er lag rücklings auf einem großen Berg von Kissen, die in ihrer Anhäufung das gespenstische Abbild eines Thrones boten, und er war weißer als das gebleichte Linnen, das ihn umgab. Wolken von rosenduftendem Rauch entstiegen einem Räucherfass neben ihm, aber das machte ihn nun nicht mehr husten. Ich selbst konnte nur mit Mühe ein Würgen unterdrücken, so beißend war der Geruch.
Er bedeutete mir, dass er mir etwas zu sagen wünsche, und ich beugte mich über ihn. »Was ich vergaß«, wisperte er. Sein Atem roch faulig. »Versprich mir, gegen die Ungläubigen zu kämpfen.« Eine Pause. »Keine Freunde. Du darfst keine Freunde haben.«
Als ich nicht antwortete, sprach er langsam weiter. »Du weißt, wie es mit de la Pole steht. Du kennst die Gefahr. Aber auch Freunde können eine Tür sein, durch die der Verrat ins Haus kommt. Habe keine Freunde. Ein König hat keine Freunde.«
Ich hatte großes Mitleid mit ihm. Sein seltsames Vagabundenleben hatte ihm jede Möglichkeit verwehrt, normale Knabenfreundschaften zu schließen und Bande zu knüpfen, die ein Leben überdauern. Ich war zutiefst dankbar dafür, Freunde wie Carew, Neville und Henry Courtenay zu haben, und ich fühlte mich gesegnet, denn sie waren mir kostbar. Ich erinnere mich an diesen Gedanken; lebhaft und beharrlich stand er mir vor Augen. (Wie ehrlich bin ich, dass ich ihn hier wiedergebe, angesichts ihres späteren Verrats. Um wie viel klüger könnte ich mich darstellen!)
»Ich will kein Einsiedler sein«, war alles, was ich sagte.
»Dann willst du nicht König sein«, erwiderte er leise. »Und ich sehe jetzt, dass du höchst ungeeignet für irgendetwas anderes bist. Du hattest Recht –
es ist Gottes Werk. Und du musst …« Ein Hustenanfall unterbrach ihn, so heftig, dass ihm das Blut aus dem Mund flog und auf den Boden spritzte. »Einen Priester …«, wisperte er, als es vorüber war. »Wolsey.«
Eilends verließ ich seine Bettkante und machte mich auf die Suche nach Wolsey. In der zwielichtigen Kammer, umso trüber wegen der Rauchwolken, die sie erfüllten, konnte ich ihn nirgends sehen. Stand er vor dem Altar? Ich lief hin, aber ich fand ihn nicht. Er musste im Vorzimmer sein. Ich hastete zu der schweren Tür, stieß sie auf und blieb keuchend auf der anderen Seite stehen. Wolsey saß auf einer Bank und las ruhig in einem Psalter. Selbst in diesem konfusen Augenblick fiel mir seine beinahe unnatürliche Gefasstheit auf.
»Mein Va…« Ich korrigierte mich. »Der König ruft nach Euch.«
Wolsey erhob sich, und zusammen betraten wir das Privatgemach.
»Geht zu ihm!« Fast hätte ich ihn zu Vaters Bett hingestoßen. Aber er näherte sich ihm
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