Ich, Heinrich VIII.
Jungfern in Reih und Glied, liebreizend und jung. Unten strömte die Themse, reißend mit dem frischen Wasser des Frühlings; sie funkelte im Mondlicht, als sie vorüberrauschte.
Es war das erste Mal seit dem Morgengrauen, dass ich allein war, und ich fühlte ein Schaudern der Erleichterung. Tag für Tag in dieser Totenkammer …
Langsam spazierte ich durch den dunklen Obstgarten. Die Schatten waren sonderbar hart, und das Mondlicht schimmerte fast blau. Mein eigener Schatten war lang, und lautlos bewegte er sich zwischen den verschlungenen, reglosen Schemen der Bäume.
»… bald tot. Lange kann’s nicht mehr dauern.«
Ich hielt inne, als ich unverhofft Stimmen hörte. Unnatürlich klar und hart klangen sie durch die Nachtluft.
»Wie alt ist er eigentlich?«
»Nicht so alt. Zweiundfünfzig, glaube ich.«
Die Stimmen näherten sich. Sie gehörten zwei Bootsleuten, die eben ihren Kahn am Steg festgemacht hatten und nun zum Schloss heraufkamen.
»Er war kein schlechter König.«
»Nicht, wenn man sich an Richard erinnert.«
»Dazu hat kaum jemand Lust.« Beide lachten.
»Wie ist der neue König?«
Einen Augenblick lang war es still. »Er ist ein Bürschchen. Es heißt, ihn kümmert nichts als Sport.«
»Und Weiber?«
»Nein, Weiber nicht. Noch nicht! Er ist ja erst siebzehn.«
»Alt genug, wenn einer in diese Richtung neigt.«
»Aye, aber das tut er nicht.«
Jetzt hatten sie mich fast erreicht. Wenn sie sich umdrehten, würden sie mich sehen. Aber sie drehten sich nicht um, sondern stapften weiter auf den Dienstboteneingang des Schlosses zu.
»Was glaubst du, wie lange dauert’s noch?«
Der andere gab ein Geräusch von sich, das Unwissen oder Gleichgültigkeit zu bedeuten hatte.
Mein Herz pochte. In diesem Augenblick beschloss ich, es nie wieder geschehen zu lassen, dass ich heimlich zuhörte, wie jemand über mich sprach. Sie hatten nichts Wichtiges gesagt, und doch hatte es mich bestürzt. Die Art, wie sie beiläufig über Vaters Leben und über meinen Charakter geredet hatten … als kennten sie uns, als hätten sie ein Besitzrecht an uns.
Will:
Es war ein Entschluss, dessen Einhaltung Heinrich offenbar beispiellose Mühe bereitete – die Gespräche anderer nicht zu belauschen. Zu meinem Glück, denn just diese Neigung führte zu unserer ersten Begegnung.
Heinrich VIII.:
Für sie war Vaters Hinscheiden kaum von Bedeutung, denn sie nahmen nicht an, dass sich damit eine neue Zeit des Blutvergießens und des Umsturzes ankündigte.
Aber für mich? Ich wollte nicht, dass er starb und mich verließ … mich allein ließ. Ich liebte ihn. Ich hasste ihn. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nicht gewusst, wie sehr ich auf sein Dasein angewiesen war, darauf, dass er im Bug des Schiffes stand, mit dem ich fuhr, geschützt vor dem Gischt und allen anderen Beschwernissen der Reise. Wenn er nicht mehr da wäre, würde das alles über mich hereinbrechen.
Die Männer waren vorüber. Ich richtete mich auf und ging weiter. Ich erinnere mich noch heute an den seltsamen, feuchten Geruch des beginnenden Frühlings, den Dunst von leicht muffiger Erde. Und an die völlige Stille zwischen den blühenden Ästen. Im harten, kalten Licht sahen sie aus wie gemeißelt, als wären sie aus einem Marmor, den nichts zerschmettern könnte.
Ich hob die Hand und schüttelte einen der Äste, und ich erwartete, dass ein Regen von Blütenblättern auf mich herabrieseln werde. Aber es geschah nichts; die Blüten hatten sich gerade erst geöffnet und saßen noch ganz fest. Es war noch zu früh zum Herabfallen. Wenn die Zeit aber käme, würden sie überreichlich herniederregnen und ihren Ast mit einer Leichtigkeit loslassen, um die ich sie beneidete.
Ich war siebzehn, und man würde mich losrütteln, und ich würde irgendwo hinfallen, aber ich fürchtete, ich würde es nicht mit Leichtigkeit oder Anmut tun.
Angst hatte ich nicht mehr. Sie war vergangen, und Resignation war an ihre Stelle getreten. Was sein musste, musste sein. In meiner kirchlichen Ausbildung hatte ich gehört, dass der große heilige Augustinus Gott gebeten hatte, ihn rein zu machen, »aber erst später«. Gott hatte ihm diese Bitte erfüllt und ihn erst spät in seinem Leben heilig werden lassen. Meine Bitte hatte Gott nicht erhört. Ich sollte König werden, bevor ich dazu bereit war. Nun wartete ich darauf wie ein Verurteilter auf den Hieb des Henkers.
Aber als der Hieb kam, der mich von meiner Vergangenheit trennte, kam er sanft und von hinten.
Früh
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