Ich, Heinrich VIII.
öffnete. Triumphierend stellte ich mir vor, wie er es daheim in Chelsea auspackte.
Jetzt wurde der Spieß umgedreht, und alle mussten mir etwas schenken. More kam rasch heran und reichte mir ein schmales Päckchen: sein Utopia.
»Soeben vollendet, Euer Gnaden«, sagte er mit einer tiefen Verbeugung. »Ich glaube, Ihr werdet es« – zweifellos hätte er zu gern »lehrreich« gesagt, aber das wagte er nicht – »amüsant finden.« Gott weiß, was ihn dieses Wort kostete, mit dem er sein großes Werk in höfischer Artigkeit herabwürdigte.
Wolsey überreichte mir ein Gemälde, das der große Leonardo in seinem Auftrag angefertigt hatte; Memmo hatte einen jungen Lautenspieler aus der hier ansässigen venezianischen Kolonie herbeigeschafft, der uns aufspielte; von Ruthal … ich weiß es nicht mehr.
Immer mehr Menschen traten vor und brachten mir ihre Gaben, bis sie mich knietief umgaben. Gerade als es eigentlich hätte zu Ende sein müssen, öffnete sich die Tür, und zwei Franzosen traten ein (man erkannte sie als solche an der übertriebenen Kleidung: Ihre Röcke waren an so vielen Stellen geschlitzt, dass sie praktisch nicht mehr vorhanden waren). Sie schleppten so etwas wie eine große Truhe mit Tragegriffen an beiden Seiten.
Jedermann in der Großen Halle wandte sich ihnen zu, als sie die Treppe herunterkamen, ihre Bürde fürsorglich zwischen sich. Ihre abnorm hohen Absätze klapperten auf dem Steinboden.
Langsam näherten sie sich, bis sie nur noch fünf Schritt von mir entfernt waren. Dann stellten sie ihre sargähnliche Traglast nieder und zogen das verhüllende Tuch zurück. Es war eine Pastete von einer so ungeheuren Größe, wie sie noch keiner der Anwesenden je gesehen hatte.
»Seine Allerchristlichste Majestät, König Ludwig von Frankreich, sendet Euch diese Fleischpastete als Neujahrsgabe. Sie ist aus einem riesigen Eber gemacht, den Seine Majestät selbst erlegte.« Sie verbeugten sich.
Ich betrachtete die gewaltige Pastete, die wie ein Schreibtisch vor mir stand. Die Teighülle war kunstvoll mit den verschiedensten Verzierungen geschmückt und schön goldbraun gebacken.
»Ein Schwert«, sagte ich, und man gab mir eines. Ich schnitt die Oberseite des hübschen Backwerks auf, und ein übel riechender Dunst stieg mir entgegen: Das Innere war völlig verdorben. Das Eberfleisch war verwest, die Füllung ein grüner Schleim.
Ich wich zurück. »Sie ist verrottet«, stellte ich fest.
»Wie die französischen Manieren«, ergänzte Wolsey, und seine Stimme klang laut durch die Stille.
Wir wandten uns den grinsenden Franzosen zu. »Sagt Eurem Herrn unseren Dank«, trug ich ihnen auf. »Aber Aas ist nicht nach meinem Geschmack. Mein Appetit geht mehr nach frischen Dingen aus Frankreich. Nach meinem Titel etwa, und nach meinem Erbe. Bringt diesen faulenden Brei zurück zu Ludwig, mit unseren besten Empfehlungen.«
Sie verzogen angeekelt die Gesichter, und ich konnte es ihnen nicht verdenken.
»Ja, dergleichen gehört auf französischen Boden«, sagte ich. »Sorgt dafür, dass es wieder dahin zurückkehrt, wo es herkommt.«
Ich hasste Ludwig. Eine derart gezielte Beleidigung bedurfte einer Antwort! Aber ich wollte, ich durfte Katharina nicht aufregen. Ich musste darüber lachen, musste geringschätzig über die Beleidigung hinweggehen. Einstweilen.
XVII
D iese Nacht war der Zeitpunkt, da ich mit meinem Gefolge »impromptu« in die Gemächer der Königin eindringen sollte. (Heute mag es in Vergessenheit geraten sein, aber die Königin hatte damals ihre eigenen Gemächer, ganz und gar getrennt von den meinen. Diese Tradition gab es, wie man mir sagte, nur in England, und sie hatte im Laufe der Jahrhunderte dem Ehebruch auf beiden Seiten Vorschub geleistet. Ich vermerke diese Sitte hier nur, weil ich absehen kann, dass sie bald der Vergangenheit anheim fallen wird. Wäre nur Anne Boleyn nicht von mir getrennt gewesen … oder Catherine Howard …)
Wir waren zwölf, in Kostümen von grüner Farbe, ganz in Sammet und mit silbernen Masken. Wir sollten in Katharinas Gemach einfallen, unversehens und unter lautem Trompetenschall, und so tun, als wären wir Robin Hood und seine Mannen, die nun die schönen Jungfrauen entführten. Nach spielerischem Kampfe würden wir sodann im Fackelschein tanzen. Natürlich war dafür gesorgt, dass elf von Katharinas Hofdamen zugegen waren, damit die Zahl ausgeglichen war.
Wir warteten vor den Gemächern der Königin und stießen dann, wie auf ein Stichwort, die Tür
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