Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
sich so wie sein Vorbild und ist eifersüchtig auf die Menschen in seinem Umfeld. Bis hin zu krankhaft: Man wähnt sich als einziger wirklicher Freund seines Idols, verfolgt es auf Schritt und Tritt und bricht, wenn der Drang übermächtig wird, auch in sein Haus ein. Letzteres wird als Stalking bezeichnet und strafrechtlich verfolgt, weshalb es nicht zu empfehlen ist.
Die amerikanischen Soziologen Donald Horton und R. Richard Wohl charakterisierten das Verhältnis von Fans und Promis als »parasozial«. Soll heißen: Es handelt sich zwar nicht um eine echte zwischenmenschliche Bindung, aber sie wird durchaus so erlebt. Ja, sie kann sogar enger und intensiver sein als Beziehungen zu wirklichen Personen, wie Millionen schwärmende Teenager zeigen. Sie eignen sich die Objekte ihrer Begierde symbolisch an, pflastern ihre Zimmer mit Postern ihrer Stars, kaufen alle möglichen Fan-Artikel und schlafen in Bettwäsche mit Motiven ihrer Lieblinge.
Wer Star wird, bestimmen wir!
Bei der Vorstellung, die wir uns von Prominenten machen, sind wir, das ist ein weiterer Vorteil, völlig frei. Sie muss nichts mit der Realität zu tun haben. Dies zeigt exemplarisch eine der erstaunlichsten Karrieren der jüngsten Zeit: die von Knut. Der Eisbär mit Wohnsitz Zoologischer Garten Berlin wird am 23. März 2007 im Alter von 15 Wochen erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Schon am Tag darauf bestaunen ihn Tausende Besucher: Ein Star war geboren. Und die Knut-Show mit täglich zwei Auftritten kann beginnen.
Warum ausgerechnet er? Schließlich sind, wie im Online-Lexikon Wikipedia nachzulesen ist, in den 16 Jahren vor seiner Entdeckung hierzulande rund 70 Eisbären weitgehend unbeachtet zur Welt gekommen. Liegt es daran, dass der Kleine von seiner Mutter nicht angenommen wurde und von seinem Pfleger Thomas Dörflein mit der Flasche gefüttert werden musste? An der symbiotischen Beziehung dieses ungleichen Paares? An übertriebener Liebe der Berliner zu ihren Zootieren? Man weiß es nicht.
Fest steht: Es ist das Publikum, das entscheidet, wer prominent wird. Und dabei geht es nicht gerecht zu; weder die Masse der Ignorierten noch die wenigen Erwählten haben die Chance, ihr Veto einzulegen. Hätte Knut die Möglichkeit dazu, nutzte er sie bestimmt, denn er will einfach nur Eisbär sein. Doch seine Fans haben andere Pläne mit ihm. Ihnen arbeitet ein PR-Apparat zu, der schon zwei Monate vor Knuts erstem offiziellen Auftritt anläuft (später bekommt der Berliner Zoo einen Preis für seine Öffentlichkeitsarbeit): So versorgen Tierpfleger die Abendschau von Radio Berlin Brandenburg (RBB) mit Filmmaterial über das flauschige Baby. Später richtet der Sender einenBlog ein, in dem sich die Leute über Knuts Entwicklung austauschen, allerlei in ihn hineingeheimnissen und seine Story so immer weiter spinnen können; weitere Seiten im Netz folgen. Eine heißt knuti-co.over-blog.de. Dort teilt ein Besucher der Welt folgende Beobachtung mit:
»Eine echte Rampensau ist unser Bärchen, meinte neulich eine Besucherin zu mir. Dem kann ich nur zustimmen, obwohl ich beim ersten Mal ungläubig geguckt habe. Knutchen wird tatsächlich hellwach und zeigt sich ziemlich aufgeregt, stellt sich hoch und zeigt all sein Können in die jeweils anwesende Fernsehkamera. Er reagiert schon extrem auf die großen schwarzen Geräte und man kann erkennen, dass er genau weiß, was er zu tun hat.«
Auch besorgte Stimmen sind dort zu lesen: »Was mich an der Geschichte um Knut sehr wundert, ist die Tatsache, dass sich niemand, aber auch wirklich NIEMAND der vermeintlichen Knut-Fans, die Tag für Tag (fast) ihr Leben bei Knut im Zoo verbringen und am Gehege alles beobachten, daran stört, dass sich Knut mit seiner Mutter Tosca paaren soll. Gab es nicht kürzlich erst zwei Löwenkinder, die aufgrund von Genschädigungen durch Inzucht so krank waren, dass sie eingeschläfert werden mussten?«
Knut bewegt die Menschen. Und lockt deshalb auch andere, weniger populäre Promis an, die schmarotzen wollen. So lässt es sich der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (der selbst etwas tanzbärig wirkt) nicht nehmen, Knut offiziell vorzustellen, eine Patenschaft zu übernehmen und das Tier als Symbolfigur für die 9. UN-Naturschutzkonferenz zu instrumentalisieren. Der Eisbär tritt de facto in den Staatsdienst ein und wird noch zu Lebzeiten mit einer Briefmarke geehrt – davon können andere Promis nur träumen.
Einer, der wenig Aufhebens um sich macht, aber wegen
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