Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
treibt. »Cute Knut« ( New York Times ) ist tot – einer der vielen Stars, die zu schnell von uns gegangen sind. Andererseits wird er dank seines abrupten Abtritts von der großen Bühne erst recht zum Mythos. Die Trauer um den Eisbären nimmt Formen an wie zuletzt beim Tod von Lady Di: Überall auf der Welt ist man entsetzt, die Todesnachricht wird von unzähligen Medien vermeldet. Trauernde strömen zum Zoo und teilen ihr Leid in Blogs und bei Facebook. Sofort machen unbeholfene Erklärungsversuche über die Ursache des frühen Hinscheidens die Runde: Das Mobbing der Bärinnen sei schuld, die Trauer über den Verlust seines Pflegers oder der Stress wegen des ungeheuren Medienrummels. Die Verantwortlichen bemühen sich, das Geheimnis so rasch wie möglich aufzuklären. Wie im Leben genießt Knut auch im Todeine Vorzugsbehandlung: Hochrangige Wissenschaftler nehmen an ihm eine aufwändige Autopsie vor, wie sie sonst wohl noch keinem Bären zuteil geworden ist. Auf einer Pressekonferenz teilt Professor Heribert Hofer, Leiter des Instituts für Zoo- und Wildtierforschung, dann mit, dass Knut infolge einer massiven Gehirnentzündung tödlich erkrankt war. Es sei weder eine Missbildung auf Grundlage von Gendefekten entdeckt worden noch habe es Hinweise auf mögliche Stresssymptome gegeben.
Der Eisbär ist tot, doch die Medienfigur ist unsterblich. Mittlerweile erinnert sogar ein »Knut – der Träumer« genanntes Denkmal aus Bronze im Berliner Zoo an ihn: ein Star, von uns allen gemacht.
Hitler geht immer: der Reiz der Prominenz für die Medien
Journalisten sind hinter Neuigkeiten her wie der Teufel hinter der armen Seele. Doch dummerweise gibt es zu wenige News, zu wenige originelle und relevante Storys, um all die Seiten und Sendeplätze damit zu füllen. An manchen Tagen, nicht nur im sprichwörtlichen Sommerloch, ist tatsächlich nichts los. Insofern sind Prominente für die Presse ein großes Glück. Britney Spears, Heidi Klum, Tiger Woods, die Royals, Paul McCartney, Brangelina & Co. haben per se Nachrichtenwert, weil sich das Publikum, das wird unterstellt, brennend für diese Figuren interessiert. Promis gelten als Universalwaffe im Kampf um Auflagen, Quoten und Klicks: Alles, wirklich alles, was sie tun oder lassen, ihre Meinungen, Vorlieben und Abneigungen sind es wert, verbreitet zu werden. So machte beispielsweise weltweitdie Nachricht die Runde, dass Madonna keine Hortensien mag, nachdem ihr ein Fan bei einer Pressekonferenz einen Strauß überreicht und sie ihrem Herzen Luft gemacht hatte: »Ich hasse diese Blumen!« Über Bette Midler erfuhren wir aus dem Stern , dass sie und ihr Gatte – jetzt kommt’s – Kugelschreiber sammeln, denn »es macht Spaß, jeden Brief mit einem anderen Stift zu schreiben«. Etwas aufregender ist das Hobby von Scarlett Johansson: Ihr macht es anscheinend Freude, sich mit ihrem Mobiltelefon im Badezimmer nackt zu fotografieren – was allgemein bekannt wurde, weil ihr E-Mail-Account gehackt und zwei Aufnahmen ins Internet gestellt wurden. Das österreichische Magazin News nutzte die Gelegenheit für eine Umfrage auf seiner Website zur Förderung der Leser-Blatt-Bindung: »Glauben Sie, dass diese Handypics echt sind oder doch nur per Photoshop gefaked?« Mittlerweile steht fest: Sie sind echt; ein 35-jähriger Arbeitsloser hatte mit einem einfachen Trick das elektronische Postfach von Johansson und anderen Celebrities geknackt.
Bilder sind das A und O der Promi-Berichterstattung, weil das Publikum seine Lieblinge sehen will und diese sich zeigen wollen. Deshalb wird der Markt überschwemmt mit echten und inszenierten Paparazzi-Fotos. In dieses Meer müssen Klatschjournalisten nur die Angel halten, um die immer gleichen Themen in unendlichen Variationen an Land zu ziehen. Zum Standardrepertoire gehören der Speck-Check: Wer hat zu- oder abgenommen? Der Fashion-Check: Wer kleidet sich gut, wer grauenhaft? Der Schönheits-OP-Check: Wer ist gelungen runderneuert, bei wem ging’s daneben? Der Schwangerschafts-Check: Wo zeichnet sich ein Babybäuchlein ab? Und natürlich der Beziehungs-Check: Bei wem bahnt sich was an? Wie stehen die Aktien bei Promi-Paaren? Wer geht mit wem fremd?
Erfreulich für die Berichterstatter ist das Sendungsbewusstsein der Prominenten: Wer einen guten Draht zu ihnen hat, kann ihnen zu jedem beliebigen Thema mehr oder weniger sinnvolle Fragen stellen, wie es unter anderem die Bunte regelmäßig tut. Zum Beispiel, was man mit geschenkten 50.000 Euro
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