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Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Bergmann
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Wert von rund 60.000 Dollar geliehen, die sie dann offenbar nicht mehr herausrücken wollte. Jedenfalls drohte die Allianz-Versicherung irgendwann entnervt mit einer Klage. Schließlich einigte man sich außergerichtlich.
    Bei Leuten, die nichts Besonderes können und nichts anderes sind als prominent, liegen die Vorteile großer Publizität auf derHand. Aber sie kann auch für jene attraktiv sein, die in ihrem Fach Herausragendes leisten. Dazu zählen klassische Musiker, die früher nur in bildungsbürgerlichen Kreisen bekannt waren. Einer, der das geändert und unter anderem den Pianisten Lang Lang, die Sopranistin Anna Netrebko und den mexikanischen Tenor Rolando Villazón in den vergangenen Jahren massentauglich gemacht hat, ist der Konzertveranstalter Peter Schwenkow. Dem Wirtschaftsmagazin brand eins erzählte er, wie das Promi-Prinzip in diese einst elitäre Branche Einzug hielt. »Edita Gruberová, eine berühmte Sopranistin, heute Mitte 60, hat mir einmal gesagt, sie stehe für Promotion nicht zur Verfügung, sie müsse entweder üben oder sich ausruhen. Die neuen Stars der klassischen Musik sind zwischen 25 und 40. Die sind MTV-Generation und möchten vermarktet werden wie Stars der Pop-Kultur.«
    Was Netrebko und Co. davon haben, in sexy Outfits vor Fotografen zu posieren, bei Wetten, dass …? aufzutreten und mit Klatschreportern über ihr Privatleben zu plaudern, rechnete Schwenkow detailliert vor: »Die Höchstgage für einen Top-Sänger liegt in den Opernhäusern weltweit bei 15.000 Euro pro Abend. Die Opernsänger haben kleine Hotelzimmer und fahren mit dem Taxi. Bei uns gibt es große Hotelzimmer mit einem Flügel drin, Limousinenservice und bessere Gagen. Bei den Klassik-Superstars reden wir heute von Gagen zwischen 40.000 und 100.000 Euro für einen Auftritt.«
    Neben dem monetären verspricht der Promi-Zirkus auch immateriellen Profit. Das gilt besonders für eine Berufsgruppe, die von Amts wegen ohnehin in der Öffentlichkeit steht: Politiker. Als Lohn für ihre Auftritte in der Yellow Press und in Talkshows winken ihnen höhere Popularitätswerte. Und natürlich ist es für sie angenehmer, sich von ihrer menschlichen Seite zuzeigen oder entspannt mit soften Moderatoren zu plaudern, als mit kritischen Journalisten oder dem politischen Gegner über Sachfragen zu streiten – weshalb man manchen Spitzenpolitiker häufiger in TV-Studios sieht als im Parlament. Der Grüne Winfried Kretschmann dürfte beispielsweise in seiner Karriere selten so devot interviewt worden sein wie von der Bunten nach seiner Wahl zum baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Die Fragen stellte dem einstigen Gymnasiallehrer eine seiner ehemaligen Schülerinnen, der Text erschien unter der Überschrift »Sind Sie wirklich so nett, Herr Ministerpräsident?«. Kretschmann verwandelte die Steilvorlage, lobte sich ausführlich selbst (»Ich bleibe auf dem Teppich, auch wenn der gerade fliegt.«) und gab den gütigen Landesvater, der »eine gewisse Nähe zu den Menschen« suche, »für die ich Politik mache«. Wenn ihm der Schmus hinterher nicht selbst peinlich war, dürfte er ihm runtergegangen sein wie Öl.
Umsatteln? Kein Problem dank Meta-Qualifikation
    Ein weiteres Privileg für Prominente ist berufliche Flexibilität. Welcher Mensch träumt nicht davon, nach zwanzig Jahren – sagen wir als Sachbearbeiter in einer Versicherung, Zugbegleiter oder Fleischfachverkäufer – etwas ganz Neues anzufangen? Und zum Beispiel Moderator, Designer oder Schriftsteller zu werden? Doch nur die wenigsten wagen den Absprung, weil sie an ihrem Talent zweifeln und sich nicht der Mühe unterziehen wollen, einen ganz neuen Beruf zu erlernen. Diese Probleme haben VIPs nicht, denn wer ständig durch die Medien geistert,dem wird alles zugetraut. Prominenz gilt als eine Art Meta-Qualifikation, die vieles möglich macht, was für gewöhnliche Menschen unerreichbar wäre. Selbst das Kanzleramt. Das jedenfalls ergab eine Studie Bremer Psychologen vor der Bundestagswahl 2002. Sie hatten Schüler danach befragt, wer für sie der geeignete Kandidat wäre. Ergebnis: Günther Jauch. Aber auch ältere Menschen glauben an die universelle Eignung von Promis: So stellte der Bunte -Reporter Paul Sahner dem Bundestrainer der Fußballnationalmannschaft allen Ernstes die Frage: »Herr Löw, auf Ihren Autogrammkarten schauen Sie mit verschränkten Armen so siegessicher in die Kamera wie einst Napoleon. Majestätisch, annähernd präsidial. Bundespräsident –

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