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Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Bergmann
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Mitscherlich: »Mag der Klatsch lästig sein, zuweilen gefährlich giftig, er ist dennoch ein Ventil, das die Menschen in den Fesseln ihrer Gesellschaft auf keinen Fall entbehren können.« Und nicht zuletzt bringt er die Leute zusammen: Was gibt es Schöneres, als sich gemeinsam das Maul über Freunde, Bekannte, Nachbarn und Kollegen zu zerreißen?
    Während sich die Klatschobjekte von einst meist in der näheren Umgebung, also in Familie, Verwandtschaft, Nachbarschaft und im Kollegenkreis befanden, eröffnete die Erfindung der Prominenz und ihre mediale Verbreitung ganz neue Horizonte. Nun erfuhren die Menschen aus Presse, Funk und Fernsehen regelmäßig etwas über ihre Lieblinge oder Hassobjekte aus aller Welt. Lange machten sich Popstars, Sportskanonen, Schauspieler, Blaublüter und Playboys allerdings rar und hielten sich mit Details aus ihrem Leben bedeckt – was die Fantasie des Publikums anregte und ihre seltenen Auftritte zu echten Ereignissen machte. Heute, in Zeiten der Promi-Inflation und des Internet, sind viele von ihnen auf Dauersendung. Wir können von Menschen, die wir nie persönlich gesehen, geschweige denn kennengelernt haben, ständig Privates, nicht selten Intimes erfahren.
    Beispielsweise gewährten die Hollywoodstars Demi Moore und Ashton Kutcher ihren Fans via Twitter Einblicke in ihre Ehe, die es schließlich auf sechs Jahre brachte. Kostproben aus der glücklichen Zeit: »Du bist der Beste, der Süßeste, und ich bin verrückt nach Dir, Mr. Kutcher«, zwitscherte sie. Er revanchierte sich mit einer Aufnahme, die seine Gattin, nur mit einem Slip bekleidet, von hinten zeigt (»Pssst … nicht meiner Frauerzählen!«). Ein anderes Mal stellte sie ein Bild von sich mit der handschriftlichen Aufforderung »Komm’ ins Bett, Baby« ins Netz. Nachdem herausgekommen war, dass der 16 Jahre jüngere Kutcher auch andere Damen nicht von der Bettkante schubste, teilte sie ihren Gram öffentlich mit ihren Anhängern auf Twitter: »Kannst Du heute fühlen, dass der Herzschmerz eines anderen nach Begehren verlangt, so wie Du es selbst fühlst? Letztlich wollen wir doch alle dasselbe.« Nur das Ende verkündete Demi Moore dann ganz klassisch per Pressemitteilung: »Mit großer Trauer und einem schweren Herzen habe ich beschlossen, meine sechsjährige Ehe mit Ashton zu beenden.« Denn: »Als Frau, Mutter und Ehefrau halte ich bestimmte Werte und Versprechen für heilig.« Er reagierte wenige Minuten später – auf Twitter: »Ich werde die Zeit, die ich mit Demi verbracht habe, für immer in Ehren halten.« Und: »Die Ehe ist eines der schwierigsten Dinge der Welt und leider scheitert sie manchmal. Liebe und Licht. A. K.«
    Neben diesem Ex-Vorzeigepaar erlauben noch viele weitere Promis die Anteilnahme an ihrem Leben – beziehungsweise dessen, was sie dafür ausgeben. Sie brauchen die Aufmerksamkeit vieler, sie können nicht ohne. Für uns, das Publikum, ist es aus mehreren Gründen reizvoll, auf das Angebot einzugehen. Der eine ist die Folgenlosigkeit. Egal, ob einer ehrlich für eine Berühmtheit schwärmt, sich aus ironischer Distanz über sie lustig macht oder sie aus tiefstem Herzen ablehnt: Man kann diese Gefühle – anders als im Austausch mit wirklichen Menschen – ohne Konsequenzen ausleben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer persönlichen Begegnung mit Brangelina, Lady Gaga & Co. kommt, ist äußerst gering. Viele Fans wären auch enttäuscht, wenn sie den wirklichen Menschen hinter der Fassade entdeckten – man lässt sich ja ungern seine Illusionenzerstören. Ein weiteres Plus: Über die Art der Beziehung, die wir zu Berühmtheiten aufnehmen, entscheiden allein wir. Sie sind jederzeit verfügbare Spielfiguren, Projektionsflächen für Phantasien aller Art. Das Spektrum der Verbindung, die wir zu ihnen aufnehmen können, reicht von sehr distanziert: Die vermischten Nachrichten in der Abo-Zeitung werden überblättert, Fernsehen aus Prinzip nicht geschaut, im Radio nur der Deutschlandfunk gehört und das Internet ausschließlich dienstlich genutzt. Über distanziert: Man weiß, dass es Lady Gaga gibt, aber nicht, warum. Enger: Man liest die »Personalien« im Spiegel , bleibt beim Zappen schon mal bei Brisant , Deutschland heute oder Explosiv hängen und schaut beim Frisör gern in Bunte und Gala . Eng: Man ist Fan, sammelt alles über seinen Liebling und schaut via Facebook und Twitter regelmäßig bei ihm rein. Am engsten: Man hat einen Fanclub gegründet, redet, kleidet und bewegt

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