Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
Knut trotzdem berühmt wird, ist sein Pfleger Thomas Dörflein. Obwohl der bei der Aufzucht des Medienstars eigentlich nur seinen Job gemacht hat, wird er mit dem Berliner Verdienstorden dekoriert. Und von Lesern der Berliner Morgenpost und Hörern des Radiosenders 94,3 RS2 zum beliebtesten Berliner gekürt.
Kritische Stimmen wie jene des Zoobiologen Peter H. Arras verhallen dagegen ungehört. Knut werde »emotional von einer ganzen Nation missbraucht«, klagt er in der Online-Ausgabe des Magazins Geo . Der Umgang mit dem Tier zeuge »nicht von Respekt, sondern von Vereinnahmung, Projektion, Kompensation«. Recht hat er – doch weil Vereinnahmung, Projektion und Kompensation Bedürfnisse des modernen Menschen sind, geht die Knut-Show weiter. Das Interesse an ihr kennt bald keine Grenzen mehr. Nach den regionalen und überregionalen Medien in Deutschland entdecken Presse, Funk und Fernsehen auf der ganzen Welt den stets gut gelaunt wirkenden Eisbären. Von Frankreich bis China, von den USA bis nach Südafrika und Indien wird über dessen – an sich recht ereignisloses – Leben berichtet. Eine deutschlandweit übertragene Dokumentation über ihn erreicht am Samstagmorgen in der ARD fast eine Million Zuschauer. Die internationale Ausgabe der Zeitschrift Vanity Fair bringt Knut – abgelichtet von der Star-Fotografin Annie Leibovitz – gemeinsam mit Leonardo DiCaprio aufs Cover. Es erscheinen auch mehrere Interviews mit ihm. Der Reporter Tom Kummer, der es dank frei erfundener Gespräche mit Hollywoodgrößen bereits zu einem gewissen Ruf gebracht hat, füllt ein ganzes Buch mit Knut-Dialogen. Dort ist unter anderem Folgendes zu lesen:
» Warum lässt du dich auf die Menschen ein?
Das ist einfach so passiert. Dafür kann ich nichts. Es ist auch viel Stress dabei, und ich glaube, dass mich dieser Stress töten kann.
Warum sagst du das?
Weil ich spüre, wie mein Herz manchmal viel zu schnell klopft.« 15
Die Knut-Manie treibt tolle Blüten. Es werden Lieder über das Raubtier geschrieben (»Knut, der kleine Kuschelbär«, »Hier kommt Knut«) – und persifliert. Bemerkenswert: Immer dann, wenn die Geschichte doch langweilig zu werden droht, sorgt irgendjemand für eine neue Wendung. So meldet der Tierpark Neumünster Ansprüche auf das weltberühmte Tier an, weil man Knuts Vater Lars nach Berlin ausgeliehen, ergo auch die Eigentumsrechte an dessen Nachkommen habe. Schließlich einigen sich beide Seiten: Der Zirkus kann in der Hauptstadt weitergehen, die Neumünsteraner bekommen zum Ausgleich 430.000 Euro. Ein gutes Geschäft für Berlin: Im Jahr 2007 verdient der Zoo allein durch Knut rund sechs Millionen Euro. Was den Zoodirektor Bernhard Blaszkiewitz allerdings nicht daran hindert, später gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu klagen: »Ich fand das Kommerzielle nicht gut.« So viel Aufmerksamkeit für ein Tier habe er noch nie erlebt. »Der Grad der Vermenschlichung war extrem.«
Irgendwann kommt es auch zu zwischenbärigen Konflikten, als der heranwachsende Knut eine Zeitlang gemeinsam mit erwachsenen Artgenossen untergebracht wird. Seine Fans wachen mit Argusaugen über den Umgang mit ihm – und sind entsetzt, als sie sehen müssen, wie grob er behandelt wird. Die BZ greift das Thema unter der Überschrift »Zicken-Terror: Beiß-Attacke auf Knut« gern auf: »Armer Knut! Eigentlich sollte er sich mit seinen drei Eisbär-Damen anfreunden und zum ›Zuchtbullen‹(O-Ton Zoo-Direktor Bernhard Blaszkiewitz) werden. Doch nichts da! Knut kauert in seinem Gehege, traut sich kaum noch auf Erkundungstour. Der Grund: Tosca (24), Katjuscha (24) und Nancy (21) mobben den Jung-Eisbären (3)!« Katjuscha habe Knut sogar in den Hals gebissen und ins Wasser geschubst. »Wie ein begossener Pudel schaut er drein, während Katjuscha triumphierend am Ufer steht.« Der Zoodirektor weist die Mobbingtheorie zwar zurück, aber fachmännische Expertise ist im Fall Knut nicht so gefragt.
Am 22. September 2008 dann eine dramatische Wendung: Thomas Dörflein – »Der Mann, der im Frieden mit den Tieren lebte – und der so zum König der Herzen wurde« ( Stern ) – stirbt überraschend an einem Herzinfarkt und unter großer öffentlicher Anteilnahme. Am 19. März 2011 folgt ihm dann sein Schützling unter den Blicken Hunderter Zoobesucher, die Knut nicht helfen können. Der Eisbär ist allein im Gehege, dreht sich plötzlich mehrfach unmotiviert im Kreis und stürzt ins Wasserbecken, in dem er dann leblos
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