Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Bergmann
Vom Netzwerk:
Terroristen Osama bin Laden bekam Gelegenheit, sich für das Männermagazin GQ auszuziehen und träumte von einer Karriere als Moderatorin einer Reality-Show im US-Fernsehen. Doch den Verantwortlichen schien die Beschäftigung einer Anverwandten des damals noch lebenden Staatsfeindes Nummer 1 dann doch zu heiß, und sie beendeten das Projekt vor der Ausstrahlung der ersten Sendung. Was die Abservierte zu dem Seufzer veranlasste: »Es ist nicht leicht, sexy bin Laden zu sein.«
Der Dampfplauderer
    Promi-Roboter. In jeder Runde dabei. Verbreitet mit stets gleicher Mimik und Gestik seine Botschaften. Der ehrlichen Arbeit längst entwöhnt. Kommt wegen seines Daueraufenthalts in Talkshows nicht zum Nachdenken. Was aber egal ist, weil dort keine Kenntnisse gefragt sind, sondern Meinungen. Zupass kommt dem Dampfplauderer die Inflation der Laber-Sendungen und die panische Angst der Fernsehredakteure vor Überraschungen. Diese Sorge ist bei ihm unbegründet: Er liefert verlässlich, was von ihm erwartet wird. Mit am längsten in diesem Geschäft: Hans-Olaf Henkel. Er arbeitete in seinem früheren Leben bei IBM und war von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. In dieser Funktion fand er zu seiner wahren Berufung: als Dampfplauderer. Neben seinen Lieblingsthemen – Verherrlichung des freien Marktes und Verdammung des Sozialismus, der nach seiner Ansicht bereits mit der Einführung eines allgemeinen Mindestlohnes beginnt – steht Henkel auch für jedes andere Thema zur Verfügung. Er schafft es mühelos, innerhalb weniger Tage in einer Talkrunde auf Phoenix seine Idee eines »Nordeuro« zu ventilieren, sich bei Anne Will über Wikileaks aufzuregen und bei Sandra Maischberger seinen Bruder im Geiste Thilo Sarrazin zu verteidigen.Dabei setzt er stets seinen strengen »Ich-hab-recht-und-du-bist-ne-Bratwurst!«-Blick ( Bild ) auf.
    Von Amateuren, die eine Zeitlang durch die Talkshows tingeln, weil sie einen (Pseudo-)Skandal ausgelöst haben, sich als Politiker beim Wahlvolk beliebt machen wollen oder für die Rolle des von einem Schicksalsschlag Gebeutelten gebraucht werden, unterscheidet sich der Dampfplauderer durch sein Stehvermögen. Die Zeitläufte gehen spurlos an ihm vorbei, er ist konjunkturunabhängig und gehört zum Fernsehinventar wie der Gummibaum zur Wohnstube. Neben zornigen alten Männern wie dem Rechtsausleger Arnulf Baring und dem Linkspopulisten Oskar Lafontaine hat sich der Gute-Laune-Bär Norbert »Die-Rente-ist-sicher«-Blüm diesen Status erplaudert. Der ehemalige Arbeitsminister unter Helmut Kohl changiert zwischen jovialem Stimmungskanonenton und schwerer Betroffenheit, schwärmt von den guten alten Zeiten und liebt es, den »gesunden Menschenverstand« gegen die Auswüchse des Kapitalismus in Stellung zu bringen.
    Die Kernkompetenz des Dampfplauderers ist Dickfelligkeit. Er weiß, dass sein andauerndes Geschwafel vielen Leuten auf den Wecker geht, ignoriert dies aber standhaft. So parierte Hans-Olaf Henkel eine entsprechende Frage der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit der Bemerkung: »Wenn es mehr Leute gäbe wie mich, brauchte ich nicht so oft aufzutreten.« Und das möchte dann doch keiner.
Der Dezente
    Rare Spezies. Meidet die Öffentlichkeit wie der Teufel das Weihwasser, weil er den Preis der Prominenz kennt, selbstbewusst genug ist, ihren Verlockungen zu widerstehen und ein richtiges Leben außerhalb der Medien hat. So wie Joachim Sauer, Professor für Physikalische und Theoretische Chemie an der Humboldt-Universität zu Berlin und Ehemann der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er wird immer wieder von Journalisten um Interviews gebeten und lehnt alle ab, die sich nicht auf seine Arbeit beziehen, denn er ist der Ansicht: »Meine Person steht in keinem Verhältnis zu der politischen Arbeit von Angela Merkel. Deshalb bin ich für die Öffentlichkeit auch nicht interessant.« Das sehen die Journalisten zwar anders, beißen bei Sauer aber auf Granit. Mit seiner Frau zeigt er sich nur in der Öffentlichkeit, wenn es sich nicht vermeiden lässt und bei ihren Besuchen von Kulturereignissen wie den Bayreuther Festspielen – was ihm in CDU-Kreisen den Spitznamen »Phantom der Oper« eintrug. Sauer lehnt die Rolle des Kanzlergatten konsequent ab und geht lieber seinem Beruf nach.
    Der Mann mit der Igelfrisur ist das Gegenmodell zu all den eitlen Angeheirateten, die nur allzu gern die Gelegenheit nutzen, mit ins Rampenlicht zu treten, und über die man mehr erfährt, als

Weitere Kostenlose Bücher