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Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Bergmann
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ging die »Medienpersönlichkeit« (Sommer über Sommer) nach Hollywood, wo sie nicht weiter auffällt. Hierzulande ist sie mit einer Kolumne im Klatschblatt Gala präsent, in der sie mit Binsenweisheiten – »Los Angeles, Stadt der Widersprüche« – und angeblichem Insiderwissen über echte Promis zu glänzen versucht: »Halle Berry – eifersüchtig auf ihre Tochter?« Bei der Familie Berry dürfte die Sommer eher weniger bekannt sein.
    Eine der cleveren Eintagsfliegen ist Daniel Küblböck. Der ehemalige Kindergärtner-Azubi schaffte 2003 als 17-Jähriger – obwohl beziehungsweise weil er gar nicht singen kann und obwohl beziehungsweise weil er ziemlich sonderbar ist – Platz 3 bei der ersten Staffel von DSDS . Er bekam einen Plattenvertrag, nahm im Dschungelcamp ein Kakerlaken-Bad und gewann die Wahl zum nervigsten Deutschen auf ProSieben. Heute, das sagte er unter anderem der Financial Times Deutschland , habe er ausgesorgt, weil er sein Geld aus Plattenverkäufen in ein seinerzeit hoch subventioniertes Solarkraftwerk bei Passau steckte. Bedauerlich, dass Küblböck seinen Wohlstand uns Steuerzahlern verdankt. Noch bedauerlicher ist, dass der angebliche Öko-Millionär weiter auftritt und beispielsweise, mit blonder Perücke angetan, »Hung Up« von Madonna zum Besten gibt.
    Vorbildlich dagegen die Eintagsfliege Zlatko Trpkovski. Der schwäbische Automechaniker mazedonischer Herkunft wurde im Jahr 2000 im ersten Big Brother -Container durch offensiv zur Schau gestellte Unwissenheit Kult. »Sladdi« versuchte sich danach als Sänger (»Ich vermiss’ dich wie die Hölle«) und Doku-Soap-Star ( Zlatkos Welt ), um seine Medienkarriere am 2. März 2001 in Hannover stilvoll zu beenden. Dort nahm er mit dem Song »Einer für alle« am deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest teil, wurde vom Publikum ausgepfiffen und verabschiedete sich mit den Worten: »Vielen herzlichen Dank, ihr Fotzköpfe!«
    Danach kehrte er in seine schwäbische Heimat und zu ehrlicher Arbeit zurück und reparierte wieder Autos.
Der Experte
    Weiß auch nicht Bescheid, ist aber jederzeit gern bereit, so zu tun als ob. In den Medien gilt die Regel: einmal Experte, immer Experte. Wer steile Thesen einigermaßen verständlich formulieren kann und von sich selbst schwer überzeugt ist, wird von Presse, Funk und Fernsehen gern genommen. So darf der alte Kriegsreporter und »Karl May der Außenpolitik« ( Welt ) Peter Scholl-Latour unentwegt über die Araber und andere uns fremde Völker schwadronieren. Oder der Ökonom mit dem Wikingerbart Hans-Werner Sinn über den Niedergang der deutschen Wirtschaft und seine immer gleichen Rezepte dagegen: Löhne und Steuern runter, Kündigungsschutz weg.
    Dass der Experte regelmäßig falschliegt, macht nichts – die Medien haben ein Ultrakurzzeitgedächtnis. Selbst wenn er vonhistorischen Ereignissen wie dem Fall der Mauer, der Weltfinanzkrise oder den Revolutionen in Arabien kalt erwischt wurde, hält er nur kurz inne, um uns dann in gewohnter Manier weiter zu belehren. Besonders grotesk ist das Expertenwesen bei Prognosen, weil Aussagen über die Zukunft bekanntlich schwierig sind. Wahlforscher und Volkswirtschaftler liegen mit ihren mathematisch exakt daherkommenden Ausblicken daher stets meilenweit daneben. Ullrich Heilemann, ehemaliger Direktor des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung der Universität Leipzig, hat in seiner Untersuchung »Sind Konjunkturprognosen besser geworden?« die Treffsicherheit dieser Vorhersagen in Deutschland über 35 Jahre hinweg untersucht – und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine wesentlichen Fortschritte gibt. Heilemann schlägt deshalb vor, gleichzeitig mit der Prognose für das kommende Jahr anzugeben, wie ungenau die vom vergangenen war. Doch davon will der Experte natürlich nichts wissen.
    Dass er sein Unwesen treiben kann, liegt auch daran, dass ihm selten auf die Finger geschaut wird. Einer, der dies in vorbildlicher Weise mit dem früher populären Orient-Experten Gerhard Konzelmann tat, war der Islamwissenschaftler Gernot Rotter. Er unterzog Konzelmanns populäres Werk »Mohammed. Allahs Prophet und Feldherr« Anfang der Neunzigerjahre einer akribischen Prüfung und veröffentlichte das Ergebnis selbst als Buch mit dem Titel »Allahs Plagiator«. Rotter kam zu dem Schluss, dass Konzelmanns Werk zu einem Drittel von Orientalisten (unter anderem von Rotter selbst) abgeschrieben worden war. Ein weiteres Drittel bestand aus

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