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Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Bergmann
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anderen nachlaufen.« 5 So ähnlich sprechen Heroin-Abhängige über ihre Erfahrungen mit dem abrupten Entzug, auch Cold Turkey genannt.
    Von Georg Franck, dem Theoretiker eines »mentalen Kapitalismus«, stammt die Diagnose: »Die Aufmerksamkeit andererMenschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblasst der Reichtum neben der Prominenz.« 6 Ihre Macht zeigt sie dem Süchtigen wie alle Drogen, wenn sie fehlt. Dann tut er alles, um an den Stoff zu kommen, ohne Rücksicht auf Verluste.
    Die Dealer nutzen das ohne Skrupel aus. Fernsehformate wie Das Dschungelcamp oder Das perfekte Promi-Dinner gäbe es nicht ohne die Sucht abgehalfterter Berühmtheiten nach Aufmerksamkeit und die Gier des Publikums, massenhaft dabei zuzuschauen, wie sich Menschen zum Affen machen. Es darf Alten wie Eva Jacob von den Jacob Sisters und dem 68er-Poster-Boy Rainer Langhans beim Kuscheln mit Kakerlaken zuschauen. Oder den ehemals schönen Boxer René Weller beim unbeholfenen Versuch, ein Menü zu zaubern. Sie alle sind auf dem Weg nach ganz unten schon recht weit gekommen und scheinen komplett schmerzfrei zu sein. Aufmerksamkeits-Junkies könnten als abschreckende Beispiele für all die Möchtegern-Nachwuchsschauspieler, -sänger und -models dienen – wären die nicht schon angefixt.
    Ein Leben, das um die Droge kreist, ist kein schönes Leben. Die Schauspielerin Anouschka Renzi weiß das nur allzu gut, kann sich aber kein anderes vorstellen, wie sie in unter Prominenten seltener Offenheit zugab. Sie tut alles, um in die Medien zu kommen: von Playboy-Fotos und intimen Details aus ihrem Liebesleben bis zum Zerwürfnis mit der Mutter, ebenfalls Schauspielerin, das die beiden öffentlich austrugen. Irgendwann ließ Anouschka Renzi sich auf eine Anmache der Kabarettistin Desirée Nick ein, in der es unter anderem um die Frage ging, wie viel an Renzis Körper noch original ist. Ein gefundenes Fressen für den Boulevard.
    Die Nick trug den Sieg davon – um später noch nachzutreten: Sie habe die vom Publikum fast vergessene Renzi »quasi reanimiert. […] Eigentlich hätte ich ihr eine Rechnung schicken müssen.« Die Renzi erkannte im Nachhinein, dass es besser gewesen wäre, die Provokation zu ignorieren. Aber dann wäre auch nicht über sie berichtet worden. Und: »Ich bin es immer gewohnt gewesen, Aufmerksamkeit zu bekommen. […] Ich habe Angst vor einem Leben ohne Aufmerksamkeit.«
    Wie bei den Konsumenten bewusstseinsverändernder Stoffe gibt es auch einige wenige, die kontrolliert mit der Droge Aufmerksamkeit umgehen können. So schotten etwa die Fernsehstars Harald Schmidt, Günther Jauch und Stefan Raab ihr Privatleben rigoros vor der Öffentlichkeit ab. Raab macht sich zwar in seiner Sendung Schlag den Raab gern zum Affen, ließ sich etwa von der Boxerin Regina Halmich grün und blau prügeln. Doch die Bedingungen solcher schmerzlicher Selbstinszenierungen kontrolliert er selbst. Er käme nie auf die Idee, sich Boulevardjournalisten in einer Weise auszuliefern, wie das die Medienopfer tun, über die er sich gern lustig macht.
    Diese Konsequenz hat auch einen juristischen Hintergrund. Prominente gelten als Personen des öffentlichen Lebens; ihre Persönlichkeitsrechte sind eingeschränkt. Sie müssen, wenn sie erst einmal bekannt sind, damit leben, dass ihnen Reporter und Paparazzi auf Schritt und Tritt folgen. Dass über sie berichtet wird und Fotos von ihnen auf Titelblättern aller möglichen bunten Blätter erscheinen. Allerdings wird in der Rechtsprechung das Verhalten der Berühmtheiten berücksichtigt. Wer sein Privatleben nicht zum Thema macht, keine Homestorys zulässt, seinen Ehepartner und die Kinder nicht zur Schau stellt, kann darauf pochen, dass Journalisten diese Grenzen respektieren.
    Wer sich dagegen auf das Spiel mit dem Boulevard einlässt – im Juristendeutsch heißt das Selbstbegebung – darf sich über die Folgen nicht beschweren. So hatten der Moderator Rudi Carrell und seine Frau einmal von einem Boulevardblatt Schmerzensgeld verlangt, weil es über eine angebliche Ehekrise berichtet hatte. In der Berufungsverhandlung, in der ihr Anspruch abgewiesen wurde, mussten sie sich vom Richter belehren lassen: »Wenn es um die Selbstdarstellung des Klägers geht, so nimmt dieser kein Blatt vor den Mund.« Die Carrells breiteten eine Vielzahl von privaten und »sogar intimsten« Angelegenheiten öffentlich aus. Deshalb, so

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