Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
das Urteil, müssten sie damit leben, dass über ihr Privatleben auch in einer Weise berichtet werde, die ihnen nicht behage.
Besonders tragisch ist es, wenn Jugendliche in die Fänge der Medien geraten, in einem Alter also, in dem sie die Konsequenzen nicht abschätzen können. Ein solcher Fall ist Franziska van Almsick. Die Schwimmerin aus Ost-Berlin wurde Anfang der Neunzigerjahre als 14-Jährige auf einen Schlag populär, als sie vier Medaillen bei den Olympischen Spielen in Barcelona gewann. Ihre Eltern, die keine Erfahrung im Umgang mit Journalisten hatten, ließen während der Wettkämpfe eine Live-Schaltung aus ihrem Wohnzimmer zu. Kurz darauf wurde »Franzi, der Goldfisch« in der Sendung Wetten, dass …? einem Millionenpublikum vorgeführt. Und stand fortan im Rampenlicht. Bis sie mit Ende zwanzig entschied, sich ein Privatleben aufzubauen, »von dem nichts in der Zeitung steht«. Sie sei es leid, immer und überall von Paparazzi verfolgt und »abgeschossen« zu werden und zum Beispiel in der Bunten Storys über ihren »Liebesurlaub« lesen zu müssen. Sie wolle weg vom Boulevard, auch mit juristischen Mitteln. Darüber redete sie mit zwei jungen Autoren für das Buch »Medienmenschen« 7 .Es war ein offenes Gespräch mit einer Frau, die vorhatte, clean zu werden.
Doch als das Buch erschien, hatte sie ihre Kritik an der Boulevardpresse offenbar noch einmal überdacht. Sie setzte ihren Medienanwalt Christian Schertz mit der Behauptung in Marsch, das Interview sei von ihr nicht autorisiert worden und dürfe nicht erscheinen. Damit kam sie nicht durch, weil bewiesen werden konnte, dass ihr Management das Gespräch abgesegnet hatte. Mit der Bunten versöhnte sich die Almsick trotzdem schnell. Sie gehört zum Inventar des Blattes und äußert sich dort zu allem und jedem, sogar zur Atomkatastrophe in Japan. »Ich habe einiges an Leichtigkeit verloren, weil die Gefahr noch nicht gebannt ist.«
Die Droge war stärker.
Ein ungesundes Verhältnis: Prominente und die Medien
Journalisten und Berühmtheiten sind einander häufig in inniger Verachtung verbunden – man braucht den anderen, hält aber nicht viel von ihm. Die einen bedienen sich der Massenmedien, um ihren Status zu halten, also im Gespräch zu bleiben. A-Promis sehen Journalisten als gehobene Dienstboten, die allein dazu da sind, sie im besten Licht erscheinen zu lassen, und leben zugleich in beständiger Furcht, dass Reporter ihnen eines Tages böse mitspielen könnten. Prominente minderen Ranges müssen sich dem Boulevard bedingungslos unterwerfen, um im Geschäft zu bleiben – und weil nur die wenigsten geborene Masochisten sind, wünschen sie sich sehnlichst, den Spieß irgendwann einmal umzudrehen.
Auch die andere Seite sieht das Verhältnis streng instrumentell. Prominente sind Mittel zum Zweck; der Zugang zu ihnen erhöht die Bedeutung von Journalisten und verspricht attraktiven Stoff – je berühmter, desto wertvoller. Beim Blick hinter die Fassade stellen Medienmacher allerdings häufig fest, dass es sich bei den Objekten ihrer Begierde in Wahrheit um Aufschneider, Dummköpfe und/oder Egomanen handelt. Darüber wollen oder dürfen sie – solange die entsprechende Person nicht zum Abschuss freigegeben ist – aber in aller Regel nicht berichten, was ihre innere Abneigung noch verstärkt. Für die Haltung, die Klatschreporter gegenüber Prominenten einnehmen, gilt, was Winston Churchill nach dem Krieg über die Deutschen sagte: »Entweder man hat sie an der Gurgel oder zu Füßen.«
Dieses bizarre Verhältnis spiegelt sich in der Presse wider. Einerseits dominiert Hofberichterstattung, brave bis devote Geschichten über die heile Welt der Schönen, Reichen und Wichtigen. Andererseits kommt es immer wieder zu Übergriffen: Nicht wenige Blätter, TV-Sendungen und Websites leben davon, Halbwahrheiten, Gerüchte oder frei erfundene Geschichten über VIPs in die Welt zu setzen. Manche Medien lassen Promis auf Schritt und Tritt verfolgen und schrecken auch vor kriminellen Methoden nicht zurück. Britische Boulevardzeitungen kämpfen traditionell mit harten Bandagen; besonders toll trieben es jene des australischen Medientycoons Rupert Murdoch. So hörten Reporter des mittlerweile eingestellten Krawallblatts News of the World Mailboxen von Politikern, Popstars, Mitgliedern des Königshauses und Verbrechensopfern ab, um an Storys zu kommen. Sie wurden lange von eingeschüchterten Politikern und korrupten Polizisten gedeckt.
Konsequenzen hatte
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