Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
der Skandal erst, als herauskam, dassdie Zeitungsleute im Jahr 2002 den Anrufbeantworter des Handys einer entführten 13-jährigen Schülerin abgehört hatten; die Leiche wurde später in einem Waldstück entdeckt. Der Bestsellerautor Robert Harris sagte dem Spiegel zu dem Fall, solange es sich bei den Murdoch-Opfern »um Fußballspieler, Schauspieler, Rockstars oder Politiker handelt, können viele Briten es genießen, wenn diese Leute gedemütigt werden«. Auf der Insel sieht man Prominente offenbar gern als Objekte eines sadistischen Voyeurismus.
Die aber schlugen zurück und starteten eine Kampagne gegen die Übergriffe des Boulevards; der Schauspieler Hugh Grant übernahm die Rolle des Sprechers. In Deutschland scheint eine ähnliche Bewegung nicht in Sicht, was Roger Willemsen im Zeit-Magazin beklagte: »Doch während dort Prominente kollektiv furchtlos gegen den Murdoch-Konzern prozessieren, prozessieren Deutschlands Prominente kollektiv schamlos in die Rektalzone des Springer-Konzerns.«
In der Rolle des Werbe-Onkels für Celebrities
Unabhängiger Journalismus jenseits von Lakaien- und Raubrittertum, solide recherchierte Geschichten über Berühmtheiten und das milliardenschwere Geschäft mit ihnen, kommt eher selten vor. Einer, der diese Marktlücke für sich entdeckt hat, ist der Schweizer Klatschreporter Mark van Huisseling. Lesenswert sind vor allem seine von 2003 bis 2006 erschienenen und auch in Buchform veröffentlichten Kolumnen für die Weltwoche . Darin schildert er seine Begegnungen mit Stars und Sternchenauf nüchterne Art. Und schreibt auch das auf, was andere Journalisten um des schönen Scheins willen meist verschweigen. So outete sich die Sängerin Sarah Connor ihm gegenüber als schlecht gelauntes Dummchen, das auf die Frage, ob sie von Frankfurt nach Zürich einen Linienflug gewählt habe, antwortet: »Nö, Lufthansa.« Der abgerockte Reggae-Star Jimmy Cliff demonstrierte ohne jede Scheu seinen Größenwahn; er sehe seine Aufgabe darin, der Menschheit zu dienen. Und Joe Cocker ließ den Reporter an seiner Faszination für einen anderen Prominenten teilhaben: »Ich habe eine Adolf-Hitler-Sammlung von 60 Bänden in meiner Bibliothek zu Hause, auch eine deutsche Ausgabe von ›Mein Kampf‹ ist dabei.«
Wie andere Journalisten auch kommt van Huisseling meist nur bei PR-Terminen für wenige Minuten mit den VIPs in Kontakt. Was ihn von den meisten seiner Kollegen – die so tun, als hätten sie exklusiven Zugang zu den Wichtigen auf der Welt – unterscheidet: Er hält damit nicht hinter dem Berg, sondern beschreibt die Entstehungsbedingungen seiner Geschichten. So erwähnte er ausdrücklich, dass er den Fußballer Samuel Eto’o (damals FC Barcelona) als einer von vielen Interviewern nach dessen Auftritt bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung von Puma traf, »weil Puma meinen Flug nach Berlin zahlte«. Eto’o habe dort kurz auf die Bühne gemusst, »als ›Afrikas Fußballer des Jahres‹. (Und als einer, der Geld bekommt von den Puma-Chefs, vermute ich, weil er diese Marke trägt)«, schreibt van Huisseling. Das siebenminütige Gespräch mit dem Ausnahme-Kicker gab nicht viel her, außer der Erkenntnis, dass dem damals 25-Jährigen offenbar ein Medienberater zur Seite stand, der ihm Sätze wie diesen eingebimst hatte: »Fußball hat mit Leidenschaft zu tun, aber ich bleib kaltblütig. Hauptsache, es macht die Leute glücklich.«
Verständlicherweise ist es für einen Reporter wie van Huisseling – der sich anders als viele Kollegen weigert, die Zitate seiner illustren Gesprächspartner deren PR-Agenten zur Absegnung vorzulegen – nicht leicht, Termine zu bekommen. Auf einen mit Verona Pooth wartete er 16 Monate. Ihr Manager verriet ihm bei dem Treffen, dass es im Falle einer Anfrage der Bunten schneller gegangen wäre, nämlich von heute auf morgen. Die Pooth plauderte mit dem Reporter dann über ihre Work-Life-Balance – »von sieben Tagen die Woche arbeite ich vier, und zwei nehm ich frei«. Dass dies auch gedruckt wurde, gefiel ihr gar nicht, sie verlangte mithilfe ihres Anwalts eine Gegendarstellung und Wiedergutmachung, allerdings ohne Erfolg.
Van Huisselings Quintessenz seiner Begegnungen mit Medienmenschen wie ihr: »Nichts machen, nichts sagen, nichts leisten sind die Hauptbegriffe des Starseins, jedenfalls bei den Nichtleistungsprominenten.«
Solche Einblicke sind auch deshalb selten, weil meist weder die Presse noch die Promis Interesse daran haben. Man profitiert
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