Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
meisten Celebrities denken ökonomischer: Wozu sich weiter anstrengen? Und verwenden die meiste Energie darauf, im Rampenlicht zu bleiben. Das, was sie einst bekannt machte – falls sie überhaupt je etwas Bemerkenswertes taten –, gerät demgegenüber immer mehr in den Hintergrund.
Unter Leistungsgesichtspunkten betrachtet, handelt es sich also um eine negative Auswahl. Dass Prominente dennoch verehrt und honoriert werden wie nie, ist kein gutes Zeichen für eine Gesellschaft, deren Wohlstand auf echter Anstrengung beruht. Man stelle sich vor, in den Schulen, Universitäten und Betrieben des Landes würden jeden Tag aufs Neue die Klassenclowns, Schwätzer und Bluffer groß herausgestellt. Und alle anderen mit Missachtung gestraft.
Auf diese Weise aber wählen sehr viele Medien ihre Hauptfiguren aus, um sie dem Publikum zu präsentieren. Die Gründe dafür sind Faulheit, Ideenarmut und Risikoscheu, denn das Promi-Prinzip gilt als sichere Nummer.
Was tun?
Auf der Titelseite der Wochenzeitung Die Zeit gibt es eine Rubrik mit der Überschrift »Prominent ignoriert«. Dort erläutert die Redaktion in wenigen Zeilen, warum sie anderswo für wichtig genommene Themen für irrelevant hält. Das wäre auch eine geeignete Methode, um der Promi-Plage beizukommen, die im Wesentlichen aus Nonsens- beziehungsweise PR-Berichten besteht. Ohne mediale Verstärkung existierten diese Kunstfiguren nicht. Wenn nur die wichtigsten Medien auf sie verzichteten, wäre viel gewonnen. Eine niedrigschwellige Therapie für promi-fixierte Redaktionen könnte sich an der guten, alten Tradition der Fastenzeit orientieren: sieben Wochen ohne Brangelina, Lady Gaga, Dieter Bohlen, Daniela Katzenberger & Co.
Die beste Waffe gegen und die schlimmste Strafe für Wichtigtuer ist Nichtbeachtung. Ohne unsere Aufmerksamkeit, ohneLeser, Zuhörer und Zuschauer gingen Prominente ein wie Vampire im Tageslicht. Und natürlich ohne unser Geld, das wir in Medien investieren, die sich in ungesunder Weise von Prominenten abhängig machen. Die Satire-Zeitschrift Titanic rief ihre Leser vor einigen Jahren dazu auf, sich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit der Begründung abzumelden: »Johannes B. Kerner ist überbezahlt« (er arbeitete damals noch für das ZDF). Ein Gag. Doch nicht wenige folgten dem Aufruf – der angesichts all der Kerner-Klone, die das Fernsehen bevölkern, brandaktuell ist.
Neben der Titanic , die das Promi-Unwesen seit Jahrzehnten lästernd begleitet, leistet auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit der von Peter Lückemeier erfundenen und mittlerweile von Jörg Thomann verfassten Rubrik »Herzblatt-Geschichten« einen wertvollen Beitrag zur Aufklärung. Der Kolumnist arbeitet sich Woche für Woche durch Boulevardzeitungen und Yellow Press und fasst den Unsinn, der dort von Prominenten und über sie verbreitet wird, prägnant in 151 Zeilen zusammen. Kostprobe: »Dabei kann das Leben nach der Karriere viel schöner sein: Rudolf Scharping etwa sehen wir in Bunte nicht nur gutgelaunt auf dem Sportball feiern, das Blatt ernennt ihn auch zur ›SPD-Legende Rudolf Scharping‹. Nicht unlustig, dass Bunte einst mit ihren Pool-Plantschfotos wesentlich dazu beitrug, dass Scharping vom, tja, aktiven Politiker zur, äh, Legende wurde.«
Das ist komisch, lehrreich – und ökonomisch, denn die Lektüre der Kolumne erspart die Lektüre der gesamten »Knallpresse« (Lückemeier).
Was täten wir eigentlich ohne Promis? Wie sähen Zeitungen, Magazine und Fernsehsendungen aus, wenn man konsequent auf die Royals, Dieter Bohlen, Lady Gaga & Co. verzichtete?Wären reihenweise Pleiten von Medienhäusern und unendliche Langeweile beim Publikum die Folge?
Nicht unbedingt. Denn es gibt viele Menschen auf der Welt, die etwas Nützliches, Aufregendes oder Unterhaltsames unternommen oder zu sagen haben und die noch keinem breiteren Publikum bekannt sind. Sie sind nicht leicht zu finden und häufig auch nicht übermäßig an Öffentlichkeit interessiert. Sie gleichen Hidden Champions genannten Firmen, mittelständischen Weltmarktführern aus der Provinz, die nicht viel Aufhebens von sich machen. Doch es lohnt sich, solche Institutionen und Menschen aufzustöbern und ihre Geschichten zu erzählen. Sie werden dann zu Augenblicksberühmtheiten im besten Sinne.
Diese Art des Journalismus ist aufwändiger als der, der auf die ewig gleichen Bekannten setzt. Aber auch spannender, weil dabei etwas Neues herauskommen kann.
Kontrolle ist besser
Satire ist
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