Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
öffentliche Aufmerksamkeit allgegenwärtig geworden sind«. Der Drang ins Rampenlicht ist zu einem Massenphänomen geworden. Das lässt sich unter anderem am gesteigerten Interesse an einschlägigen Shows erkennen. So ließen sich für die neunte Staffel von Deutschland sucht den Superstar 35.401 Menschen casten. Millionen schauen sich solche Sendungen an, die vor allem für Kinder und Jugendliche Leitbild-Charakter haben. Das ergab unter anderem eine Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen, für die insgesamt mehr als 1300 junge Leute zwischen 9 und 22 Jahren befragt wurden. Ein Ergebnis: Die Hälfte der Mädchen konnte sich – seitdem sie die Sendung Germany’s Next Topmodel sahen – vorstellen, selbst Model zu werden. Obwohl das für die allermeisten ein unrealistisches Ziel ist und die in der Sendung gekürten »Topmodels« gar keine sind.
Die Allgegenwart von Prominenz hat nicht nur Einfluss auf Teenager. Immer mehr Menschen meinen, sie müssten sich öffentlich inszenieren. Jeder Nachwuchspolitiker und selbst mancher Kreisligafußballer hat schon Medienberater. Frisch gegründete Firmen engagieren als Erstes eine PR-Agentur. Und Millionen beschäftigen sich bei Facebook vor allem damit, einen guten Eindruck zu machen.
Soziale Netze beruhen auf der Bereitschaft zur Selbstoffenbarung und haben dem Promi-Wahn einen enormen Schub verliehen. Allein Facebook hatte Angaben des Unternehmens zufolge Ende 2012 weltweit mehr als eine Milliarde »aktive Nutzer«, davon rund 22 Millionen in Deutschland. Offizieller Zweck dieser Plattform ist es, online mit »Freunden« – im Schnitt sollen das etwa 190 Personen sein – in Kontakt zu bleiben und sich untereinander auszutauschen. Doch viele mögen Facebook, Twitter & Co. noch aus einem anderen Grund, wie eine Befragung von mehr als 1.000 Studenten in den gesamten USA ergab. 57 Prozent von ihnen gaben an, dass ihre Altersgenossen sie vor allem dazu nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen und sich selbst zu vermarkten.
Die Mitmachmedien im Netz sind wie gemacht für Poser . Dort kann sich jeder in Text, Bild und Film verwirklichen, einer kleineren oder größeren Öffentlichkeit seine Gedanken oder Kunstwerke vorstellen oder sie an seinem Leben teilhaben lassen – in der Hoffnung, dass viele das toll finden. So tummeln sich im Web 2.0 Abertausende Möchtegern-Promis, die ihren etablierten Vorbildern in jeder Beziehung nacheifern. Vielen ergeht es so wie Boris Becker: Weil sie weder etwas Aufregendes erleben noch etwas Kluges mitzuteilen haben, sondern sie am laufenden Band Banalitäten ab – von der Mitteilung über die jüngste Mahlzeit bis zum nächsten Urlaubsziel, von der Meinung zum Fernsehprogramm bis zum Video mit putzigen Kapriolen des Haustieres. Womit früher nur der Lebenspartner oder Frisör vollgetextet werden konnte, lässt sich heute eine beträchtliche Öffentlichkeit erreichen. Tragischerweise ist vielen Selbstdarstellern nicht klar, dass es sich bei Facebook um »so etwas wie eine Dauerweihnachtsfeier« handelt, »auf der 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr Dauerblamagepotenzial besteht«, wie die Financial Times Deutschland einmal feststellte.
So wandeln etliche Internetuser naiv auf den Spuren von Lothar Matthäus und Paris Hilton, plaudern aus ihrem Liebesleben oder posieren leicht bekleidet auf YouTube oder Flickr. Manche werdende Mutter präsentiert stolz Ultraschallbilder des Nachwuchses auf ihrer Facebookseite, mancher angehende Vater twittert aus dem Kreißsaal. Und nicht wenige Männer auf Brautschau drängt es wie den US-Kongressabgeordneten Anthony Weiner zum expliziten Web-Exhibitionismus. Weiner hatte jungen Frauen via Twitter Fotos seines Gemächts zugeschickt – offenbar in Unkenntnis der Tatsache, dass dies alle seine Follower und damit die Öffentlichkeit mitbekommen würde. Seine Hoffnungen, Bürgermeister von New York City zu werden, musste er daraufhin begraben.
Vermutlich hatte der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg solche Fauxpas nicht im Sinn, als er sagte: »Menschen sind einverstanden damit, Informationen über sich mit anderen zu teilen und werden immer offener zu immer mehr Menschen.« Fakt ist, dass seine Kunden, um auf sich aufmerksam zu machen, ihm freiwillig und gratis den Rohstoff für sein Milliardengeschäft liefern: private Daten, die zu Reklamezwecken genutzt werden. Werbung treibt dieses Unternehmen auf allen Ebenen an. Und wie im Marketing generell üblich: Man
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