Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau. Im sozialen Netz wimmelt es von frisierten Lebensläufen und Porträts. Alle tun so, als seien sie glücklicher, erfolgreicher, attraktiver – die Online-Existenz als nie endendes Schaulaufen. Und von überall her erschallt der Ruf: Findet mich gut!
Erfreulich immerhin, dass das Web 2.0 nicht nur Werbung in eigener Sache enorm erleichtert, sondern auch den Reality C heck – vor allem bei solchen Zeitgenossen, die mit den neuen Medien noch nicht per du sind. Zu denen zählte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann. Mitarbeitern des Magazins Datum fiel auf, dass sich auf der neuen Facebook-Seite des wenig charismatischen Sozialdemokraten etliche »Freunde« tummelten, die jede seiner Äußerungen mit Beifall quittieren. Versuche, mit diesen Claqueuren in Kontakt zu treten, scheiterten, und Freundschaftsanfragen blieben unbeantwortet, denn etliche Profile der Faymann-Fans waren – offenbar von PR-Leuten des Kanzlers – frei erfunden worden. Sehr peinlich. Zu denken geben sollte dem um ein modernes Image bemühten Sozialdemokraten zudem, dass sich das Interesse an seinem offiziellen Facebook-Auftritt in engen Grenzen hält. Der gefiel gerade mal 6569 Leuten (Stand: 16. September 2012), während die satirische Seite »Failmann« (vom englischen to fail, also versagen), auf der er durch den Kakao gezogen wird, mit 14.242 mehr als doppelt so viele Anhänger hatte.
Wenn die Strombergs regieren
Die Promi-Plage geht einher mit einer epidemischen Verbreitung der Promi-Störung Narzissmus, also übermäßiger Eigenliebe. Zu diesem Ergebnis kommen die amerikanischen Psychologie-Professoren Jean Twenge von der San Diego State University und Keith Campbell von der University of Georgia. Die beiden haben mit anderen Forschern in einer Meta-Studie landesweit Ergebnisse des »Narcissistic Personality Inventory« ausgewertet. Das ist ein Test, mit dem sich der Grad der Selbstverliebtheit messen lässt. Eines der Statements, zu denen die ProbandenStellung nehmen sollen, lautet beispielsweise: »Wenn ich die Welt regierte, wäre sie ein besserer Ort.« Quintessenz der Studie: Keine Generation war so ich-bezogen wie die der zwischen 1982 und 2001 Geborenen. Demnach weisen fast zehn Prozent der Twens eine narzisstische Persönlichkeitsstörung auf, während es bei den über 65-Jährigen lediglich drei Prozent sind.
»Narzisstische Persönlichkeitsstörungen nehmen in den USA im gleichen epidemischen Ausmaß zu wie Fettsucht«, so Jean Twenge, die mit ihrem Kollegen Campbell auch ein populäres Sachbuch (»The Narcissism Epidemic«) zum Thema verfasst hat. Darin listen die beiden Ursachen und Symptome der von ihnen diagnostizierten Epidemie auf. Zum Beispiel ein Bildungssystem, das das Ego von Kindern vor allem aus der Mittel- und Oberschicht ungesund anschwellen lässt: So sind die Notendurchschnitte an den US-Highschools in den vergangenen 30 Jahren um 83 Prozent gestiegen – die Leistungen im internationalen Vergleich aber nur um ein Prozent. Eltern, Erzieher und Lehrer bestärken den Nachwuchs unentwegt darin, etwas Besonderes zu sein. Dazu gehört auch übermäßiges Lob für Selbstverständlichkeiten: In Sportclubs kann die Jugend bereits mit einer Medaille rechnen, wenn sie überhaupt zum Training erscheint. Eine augenfällige Parallele zu Celebrities, die schon allein deswegen beklatscht werden, wenn sie irgendwo auftreten.
Mittlerweile gibt es in den USA – dem Rest der Welt auch bei der »Leitneurose Narzissmus« 12 einen Schritt voraus – Dienstleister, die ihren Kunden gegen Geld den Eindruck vermitteln, prominent zu sein. Bei celeb4aday.com können beispielsweise Eltern für ihre verwöhnten Gören falsche Paparazzi bestellen, die sie auf der Straße abpassen und ablichten, als handele es sich um Hollywoodstars. Mission Statement der Firma: »Wir glauben, dass jeder ebenso viel Aufmerksamkeit braucht wieechte Prominente, wenn nicht sogar mehr, und nichts macht uns glücklicher, als diesen Service jedermann anzubieten.«
Wer von klein auf den Eindruck vermittelt bekommt, ein toller Typ zu sein, entwickelt ein übersteigertes Selbstvertrauen und unrealistische Ansprüche, tut sich schwer mit sozialen Bindungen und neigt dazu, große Risiken einzugehen. Fatalerweise wirken Narzissten – ein Paradebeispiel ist der Lügenbaron Karl-Theodor zu Guttenberg – auf den ersten Blick für viele Menschen attraktiv, weshalb sich die von Twenge und Campbell diagnostizierte
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