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Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Bergmann
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klar.«
    Kneissler ließ das nicht auf sich sitzen, sondern konterte: »Es war kein Gespräch unter Freunden, sondern eindeutig eine professionelle Interview-Situation. Ich bin mit einem dicken Geldbündel in der Hosentasche zu Lauterbach gegangen und habe es ihm gegeben. Lauterbach bestand auf Cash. Freunde muss man nicht bezahlen, um mit ihnen reden zu dürfen. Allein deshalb habe ich kein Mitleid mit Lauterbach. Während des Interviews haben wir uns gut verstanden, sodass ich ganz nah an den Menschen Heiner Lauterbach herankam. Er hat Dinge von sich preisgegeben, die er sonst sicherlich für sich behalten hätte. Aber: Er hat das Interview vor der Veröffentlichung gelesen und autorisiert. Außerdem hat die Geschichte ihm eher genutzt als geschadet. Während er heute Müsli isst und keinen mehr interessiert, hat er damals einen Skandal geliefert, der ihn nicht in jedem Punkt sympathisch, aber authentisch wirken ließ. Hinzu kommt, dass Lauterbach ein ausgebuffter Typ ist, der hervorragend auf der Medienklaviatur spielt. Vor allem als er mit Jenny Elvers liiert war, hat er exzessiv die Öffentlichkeit gesucht, alle Irrungen und Wirrungen dieser Beziehung vermarktet – unter anderem auch in dem Gespräch mit mir. Selbst seine Alkoholexzesse nach der Trennung hat er öffentlich inszeniert.« 11
    Unappetitlich das Geschäft mit der Eitelkeit. Um die Konsumenten darüber aufzuklären, wäre ein verbindlich mit jeder Story zu veröffentlichendes Making of wünschenswert. Darin hieße es dann beispielsweise: Für diesen Exklusivbericht hat Herr Sowieso von unserem Verlag die Summe X erhalten. Oder: Dieses Interview dient allein der Reklame für den neuen Film mit Frau Sowieso, der übrigens nicht sehenswert ist. Oder: Dass dieser Artikel so langweilig ist, liegt nicht am Autor, sondern am Manager des Herrn Sowieso, dem der Text vor der Veröffentlichung zur Zensur vorgelegt werden musste.
    Als vorbildlich in Sachen Transparenz kann heute schon das Dschungelcamp auf RTL gelten ( Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! ). Denn bei der Fernsehshow, für die eine psychologisch sorgfältig ausgesuchte Gruppe abgehalfterter Promis und solche, die es werden wollen, gegen Honorar im australischen Busch kaserniert, auf Schritt und Tritt gefilmt und mit entwürdigenden Aufgaben traktiert wird (auf dem Speiseplan in Staffelsechs stand beispielsweise »Vagina vom Buschschwein«), bleiben keine Fragen offen. Dort wird nicht so getan, als gehe es um eine gute Sache, als schätzten sich Medienleute und Camp-Insassen. Der Deal zwischen beiden Seiten ist offenkundig: Aufmerksamkeit gegen Erniedrigung. Auch die Motive der Teilnehmer liegen auf der Hand: Sie sind blank, leiden unter dem Entzug öffentlicher Beachtung und einem Mangel an Schamgefühl. Das Publikum kann sich wahlweise an den verzweifelten Versuchen der verkrachten Existenzen weiden, unter widrigsten Umständen eine gute Figur zu machen, oder verständnislos den Kopf über das Spektakel schütteln. Erfreulich: Der übliche Schmu verfängt im Dschungel nicht; die Teilnehmer agieren dort buchstäblich ungeschminkt. Die Bunte -Chefredakteurin Patricia Riekel griff mit ihrer Eloge auf die Sendung – es handele sich »um ein Kammerspiel der Gefühle, um Verdichtung menschlicher Extremsituationen, vergleichbar mit einem Shakespeare-Drama« – zwar deutlich zu hoch, doch immerhin lässt sich über das Medienmenschen-Experiment sagen: eklig, aber wenigstens halbwegs authentisch und damit ein Beitrag zur Aufklärung über das Geschäft mit der Eitelkeit.
Der Find-mich-gut-Virus
    Zu den Anforderungen der modernen Gesellschaft zählt eine gewisse Schauspielkunst. Wir alle nehmen, je nach sozialer Situation, unterschiedliche Rollen ein: im Berufsleben als Vorgesetzter, Kollege oder Untergebener, privat als Partner oder Ehegatte, unter Freunden, Bekannten und ehemaligen Schulkameraden. Wer eine Rolle übernimmt, weiß meistens, was er zu tun undwelchen Spielraum er hat. »Wir alle«, so die Quintessenz des amerikanischen Soziologen Erving Goffman, »spielen Theater.« Seit es Massenmedien gibt, gibt es zudem auch Leute, denen das überschaubare Publikum in Beruf und Privatleben nicht reicht und die deshalb versuchen, sich auf größeren Bühnen einen Namen zu machen, also berühmt zu werden.
    Neu ist, wie Bernhard Pörksen und Wolfgang Krischke in dem von ihnen herausgegebenen Buch »Die Castinggesellschaft« schreiben, »dass die mediengerechte Selbstdarstellung und das Werben um

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