Ich kann jeder sagen
lässt mich so kalt wie die Tränen, die dann um Dresden vergossen wurden.
I couldn’t care less.
Ich weinte, als Dresden brannte. Ich wusste allerdings, dass ich nicht um Dresden weinte, sondern deshalb, weil ich betrunken war und rührselig in meiner Einsamkeit, dabei immer noch unter dem Eindruck vom »Blauen Wunder«, und zugleich voller Selbstverachtung wegen der Nüsschen trotz meiner Gewichtsprobleme, und wegen alldem eben besonders anfällig für Kitsch. Und dieser Film war Kitsch.
Ich hatte es als Fingerzeig des Schicksals genommen – nein, das ist zu pathetisch, ich fand, dass es ein sinniger Zufall war, dass just an dem Tag, an dem ich zum ersten Mal nach Dresden kam, im Fernsehen ein Film über die Zerstörung Dresdens gezeigt wurde. Das ZDF hatte diesen aufwendig produzierten Fernsehfilm massiv beworben, was selbst ich, der ich kaum fernsah, mitbekommen habe. Den ersten Teil hatte ich versäumt, aber der zweite Teil sollte just an dem Abend ausgestrahlt werden, an dem ich in Dresden war.
Jetzt saß ich da und wusste, dass ich noch immer nicht, jetzt erst recht nicht schlafen würde können.
Es gab noch nie eine Diktatur, in der die Menschen gefragt wurden, was sie wollen. Die Deutschen wurden gefragt. Das war einmalig. Sie wollten den totalen Krieg. Ohne Dresden hätten sie nie begriffen, was sie sich gewünscht haben.
Hat mein Vater gesagt. Hat er immer wieder gesagt. Man soll nicht nachplappern. Dem Vater. Den Vätern. Auch wenn durch Erfahrungen verbürgt ist, was sie sagen. Auch wenn sie recht haben, zumindest in dem Sinn, dass sie nie gefragt wurden, welche Erfahrungen sie machen wollten und welche nicht.
Ich beschloss, noch einmal zum Blauen Wunder zu gehen.
Traurig ist nicht das verstörte Dresden. Traurig sind nur und ausschließlich die Tode jener, die nicht gefragt wurden. Die Tode der sechs Millionen.
Es war kein Mensch auf der Straße. Der Feuersturm war in Dresden offenbar ein Straßenfeger. Nein, ich war nicht unernst. Aber ich wollte auch nicht zulassen, dass ich mich jetzt besonders dramatisch fühlte.
Ich stand auf der Brücke, schaute, es war dunkel, aber ich konnte –
Hör auf Leon, das ist keine Geschichte für ein Kind! Er wird mir dann nicht einschlafen können!
Das war meine Mutter, wenn Vater erzählte. Ich schaute. Es war Nacht. Ich konnte aber doch die majestätische Schönheit ahnen, die dunkel im Dunklen lag. Ich beugte mich nach vorn, sah das schwarze Fließen. Da hörte ich ein Geräusch hinter mir. Ein Klirren oder Scheppern. Ich drehte mich um. Eine Frau hatte ihr Fahrrad fallen lassen und lief auf mich zu. »Das ist keine gute Idee!«, rief sie.
»Erschütternd! Normalerweise habe ich nur gute Ideen!«
Nein, das habe ich nicht gesagt. Das wäre die Antwort gewesen, wenn ich die Geschichte jemandem erzählt hätte. Ich habe gar nichts gesagt. Sie fasste mich am Oberarm, drängte sich zwischen mich und das Brückengeländer, sah mich an. Und ich begann zu weinen! Es war irre! Ich weinte, und hatte wirklich nicht an Selbstmord gedacht, ich war nur –
»Ist gut«, sagte sie, »ist gut. Willst du reden?«
Ich nickte. Wir gingen ein paar Schritte. »Dein Rad!«, sagte ich.
Ich bin nicht gut darin, das Alter eines fremden Menschen zu schätzen. Sie war nicht jung. Sie war nicht alt. Sie war auf eine sehr vertraueneinflößende Art erwachsen.
Sie schob das Rad neben mir her, sagte nichts, wartete, dass ich etwas sagte. Das Einzige, was ich sagen hätte wollen, konnte ich nicht sagen.
»Gibt es hier in der Nähe noch ein offenes Lokal?«
»Gleich hier unten. Die Russen!«
Ich verstand nicht. Sie schob ihr Rad. Ich ging neben ihr her.
»Wie heißt du?«
»Rita.«
Am Ende der Brücke gingen wir seitlich rechts zum Elbeufer hinunter, da befand sich – ein Lokal … kann man nicht sagen. Es war eine eigentümliche Mischung aus Container und Holzverschlag, mit Wellblechdach, ein Provisorium, aber doch sehr massiv, und so wettergegerbt, als wäre es schon ewig dagewesen. Keine Beleuchtung, nur Licht, das durch Ritzen aus dem Inneren herausdrang. Und Bässe, Herzrhythmus, der herausschlug, stampfende Musik.
Ich weiß nicht, ob ich mich korrekt erinnere. Ich glaube, Rita machte ein Klopfzeichen. Daraufhin wurde uns geöffnet. Es war drinnen sehr hell, sehr verraucht, sehr laut. Es wurde russisch gesungen, gebrüllt, geschrien. War das wirklich so? Oder glaube ich das nur, weil Rita gesagt hatte »die Russen«?
Hieß sie wirklich Rita? Wir haben geredet! Was
Weitere Kostenlose Bücher