Ich kenne dein Geheimnis
eine Karriere im Fernsehen
oder beim Film interessierte sie nicht. Wirklich wichtig für sie war Schutz. Sie war aus einem bestimmten Grund nach Mailand
gekommen, und bis sie dieses Ziel erreicht hatte, brauchte sie vor allem Sicherheit. Sie griff nach dem Handy auf dem Nachttisch
und schaltete es ein. Ihre Agentin Edy Micheli, ihr schwuler Freund Peppy Piano und die Kosmetikerin hatten versucht, sie
zu erreichen. Sie war gerade dabei, Edys Nummer zu wählen, als es an der Tür klopfte.
|52| »Darf ich?«
»Komm rein, Raquel.«
» Buongiorno , signorina
, haben Sie gut geschlafen?«
»Ja, danke, Raquel.«
»Wollen Sie im Bett oder lieber am Schreibtisch frühstücken?«
»Im Bett.«
Raquel stellte das silberne Tablett auf dem kleinen Tisch neben dem Sofa ab und trug ihn zum Bett herüber.
Auf einer Spitzenserviette neben der Limoges-Tasse lag ein Briefumschlag. Smeralda spürte, wie ihr Herz plötzlich schneller
schlug. Auch Raquel war ihre Erregung nicht verborgen geblieben.
»Alles in Ordnung, Signorina?«
»Ja, danke, Raquel.« Smeralda zwang sich zu einem Lächeln. »Ich habe die kalorienreduzierte Orangenmarmelade besorgt.«
»Ja, ja, danke. Du kannst gehen.«
Smeralda wartete, bis Raquel das Schlafzimmer verlassen hatte, dann griff sie nach dem Umschlag. Ihre Hände waren schweißnass.
Der Brief war an »Smeralda Mangano, Via XX Settembre 14, Mailand« adressiert, abgestempelt im Bahnhof Lambrate.
Sie schluckte. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie den Brief nicht ungeöffnet in den Papierkorb werfen sollte, doch dann
legte sie ihn beiseite. Mechanisch goss sie sich eine Tasse Tee aus der Sheffield-Silberkanne ein und griff nach einer Scheibe
Toast, die sie mit einem Hauch Marmelade bestrich. Ihre Hand zitterte so sehr, dass sie etwas Tee verschüttete, und sie bekam
keinen Bissen herunter. Immer wieder wanderte ihr Blick zu dem Brief zurück. »Verdammt.« Wütend klatschte sie den Toast zu
Boden und riss den Umschlag auf. |53| Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen, es waren Großbuchstaben, ausgeschnitten aus einer Zeitung. Sie kam sich vor wie in
einem Totò-Film. Nur, dass sie das hier nicht witzig fand.
»ICH KENNE DEIN GEHEIMNIS, DU HURE. WANN WIRST DU VON DEINEN ZWEI SCHÄTZEN ERZÄHLEN?« Dann folgte ein Satz, der in den vorangegangenen
Briefen fehlte: »ICH WERDE DICH WISSEN LASSEN, WIE DU MIR DEINE DANKBARKEIT ERWEISEN KANNST.«
» Avi a ghittari sanghi!
Er soll verrecken, dieser verfluchte Bastard!« Smeralda zerknüllte den Brief und verbrannte ihn im Aschenbecher, dann goss
sie etwas Tee darüber, damit es nicht so lange kokelte. Anschließend zündete sie sich eine Zigarette an. Sie hatte sich das
Rauchen abgewöhnt, doch seit sie diese verdammten Briefe bekam, war es vorbei mit der Disziplin.
Zum x-ten Mal fragte sie sich, wann ihr der ominöse Erpresser endlich sagen würde, was er eigentlich wollte. Und vor allem:
Was war ihr sein Schweigen wert? Sie wusste es nicht. Sie stand auf und schüttete die Asche ins Klo. Ein Blick in den Spiegel
beruhigte sie, keine Spur von Stress und Erschöpfung. Sie sah eine wunderschöne Frau mit wallender Löwenmähne und endlos langen
Beinen. Ihre dreiunddreißig Jahre sah man ihr nicht an. Einziger Schwachpunkt war der flache Po, was den Männern allerdings
kaum auffiel, weil sie nur Augen für ihre üppigen Brüste hatten. Smeralda tat alles, um in Form zu bleiben und diese zur Geltung
zu bringen, denn ihr Körper garantierte ihr ein angenehmes Leben fern der Armut.
Während sie die Zigarette gierig zu Ende rauchte, erinnerte sie sich an die Zeit, als sie noch in Catania lebte und Maria
Catena Eustochia Smeralda Calogero hieß, genannt Caty oder |54| auch
’a Minnona
, »die mit den großen Brüsten«. Damals war sie ein naives junges Ding, das sich von allen ausnutzen ließ. Doch das hatte sich
schlagartig geändert, seit sie sich Scila genannt hatte, ein Name, den sie in einem Film aufgeschnappt hatte. Damals war sie
zweiundzwanzig Jahre alt gewesen. Ihr war plötzlich klargeworden, dass ihre Brüste ihr Kapital waren. Ein Kapital, das gezielt
eingesetzt werden musste. Sie ließ sich nur noch mit Männern ein, die neben Geld auch Stil und Kultur zu bieten hatten. Sie
wollte mitreden können, nicht mehr nur das reizende Dummerchen sein. Peinlich berührt erinnerte sie sich an ihre Liaison mit
Commendatore Picone, einem unersättlichen Endsechziger, der sie einmal »meine
Weitere Kostenlose Bücher