Ich kenne dein Geheimnis
ich recht habe? Kommt Ihnen
Smeralda Manganos Reaktion nicht auch etwas überzogen vor? Man regt sich doch nicht ohne Grund so auf, es sei denn, ich habe
einen Nerv getroffen.«
»Wissen Sie, wo Sie sich Ihre Intuition hinstecken können? Wissen Sie das?« Forte nahm die halbgerauchte Zigarre aus dem Aschenbecher
und steckte sie sich provozierend langsam in den Mund. Chiara war sicher, dass er damit auf etwas Vulgäres anspielen wollte,
und wandte angewidert den Blick ab. Doch inzwischen hatte ihre Wut die Oberhand gewonnen. »Machen Sie doch, was Sie wollen!
Schmeißen Sie mich einfach raus!« Ehe ihr Chef Luft holen konnte, drehte sie sich um, verließ den Raum und schmiss die Tür
zu.
Ermanno Forte blieb sitzen. Jetzt ging es ihm besser. Endlich war es ihm gelungen, Chiara Bonelli aus der Reserve zu locken.
Frauen mit Biss hatten ihm schon immer gefallen.
»Chiara, wo willst du hin?« Piergiorgio Sperelli lief ihr auf dem Flur hinterher.
»Ich gehe. Soll der Trottel doch sehen, wo er bleibt! Seine stinkenden Zigarren gehen mir sowieso auf die Nerven.«
»Mein Kompliment! Darf ich dich nach Hause begleiten?«
»Gerne. Aber erst ziehe ich mich um. Dieses Kostüm hat mir kein Glück gebracht. Warte doch draußen an der Bar auf mich.« Chiara
rüttelte an der Garderobentür. »Mist, ich habe abgeschlossen, und jetzt komme ich nicht mehr rein«, schimpfte sie und versuchte
mit Gewalt, den Schlüssel im Schloss zu drehen.
»Darf ich?« Sperelli nahm ihr sanft den Schlüssel aus der Hand. »Mit Feingefühl geht alles, siehst du?«
|144| Zu Hause war ihre Entschlossenheit bereits wieder verflogen. Der Adrenalinschub war verpufft. In Fortes Büro hatte sie sich
noch stark gefühlt, jetzt war sie nur noch ein Häufchen Elend. Sie ließ sich auf das blaue Sofa sinken, das Paolo ihr geschenkt
hatte, und fixierte ihr Handy, das auf dem Kissen lag. Sie musste etwas tun.
»Chiara, was für eine Überraschung! Wie geht’s dir?« Silvias Stimme war rau, ein sicheres Zeichen, dass sie zu viel geraucht
hatte. Trotzdem war es tröstlich, sie zu hören.
»Mir geht’s gut, abgesehen davon, dass ich gerade entlassen wurde. Genaugenommen habe ich mich selbst entlassen …«
»Erzähl!«
Chiara berichtete von ihrer Auseinandersetzung mit der Mangano, von deren Reaktion auf die unerwartete Frage, von dem Telefongespräch,
das Gilla belauscht hatte, und von ihrem Streit mit Forte. Zum Schluss erzählte sie von ihrer Vision, in der die Leiche im
Eurostar eine Hauptrolle gespielt hatte.
Silvia hörte schweigend zu, dann stellte sie doch eine Frage: »Welche Verbindung könnte es zwischen der Mangano und der Ermordeten
im Zug geben?«
»Keine Ahnung.« Chiara schüttelte den Kopf. Was vor ihrem inneren Auge abgelaufen war, war einfach zu diffus.
Silvia zog wieder an der Zigarette. »Da kann ich dir nicht helfen, Chiara.«
»Das habe ich mir gedacht. Tut mir leid.«
»Du wirst es mir nicht glauben, aber ich habe gar nicht gewusst, wer die Mangano ist, bevor du mir von ihr erzählt hast.«
Chiara war verblüfft. »Wirklich? Aber die kennt doch jeder!«
»Ich lese keine Klatschblätter, und das Fernsehen interessiert mich schon gar nicht.«
»Nicht einmal Telestella, so wie es aussieht …«
|145| »Niemand ist perfekt. Wie war das noch, woher stammt die Mangano?«
»Darüber hatten wir noch gar nicht gesprochen. Sie kommt aus Rom. Genauer gesagt, hat sie kurze Zeit in Rom gelebt, bevor
sie nach Mailand gezogen ist. Geboren ist sie in Sizilien.«
»Sizilien?«
»Ja.«
»Das könnte eine Verknüpfung mit einem zweiten Toten sein, wir haben den Fall ›Laguna-Express‹ genannt …«
»Laguna-Express?«
»Im Augenblick kann ich dir nicht mehr sagen, Chiara, aber es gab einen zweiten Mord in Venedig, der in direktem Zusammenhang
mit der Toten im Eurostar steht, und eine Spur führt nach Sizilien. Das ist nicht viel, aber …«
Chiara seufzte. Sie hätte der Kommissarin gerne geholfen. »Habt ihr noch mehr über die Tote im Zug herausgefunden?«
»Etwas schon. Morgen veröffentlichen wir ein Phantombild des Opfers mit einem etwas verjüngten Gesicht und dunklen Haaren.
Es scheint, als ob es auch hier eine Verbindung nach Sizilien gibt …«
Smeralda war mit einer Bronchitis und hohem Fieber nach Mailand zurückgekehrt. Das Erlebnis bei Telestella hatte sie so geschockt,
dass ihr Immunsystem zusammengebrochen war. De Gubertis wollte sie unbedingt sehen, aber sie hatte
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