Ich kenne dein Geheimnis
anrufen soll.« Santanna setzte sich wieder an den Frühstückstisch, der Appetit war ihm allerdings vergangen. »Zum Teufel!«
Wieder griff er nach dem abhörsicheren Handy und tippte die Nummer des Rumänen ein. Auch wenn er ihn nicht ausstehen konnte:
Geschäft war Geschäft. |151| Und diese Geschäfte waren ausgesprochen lukrativ, ohne sie würde er nie ein unabhängiges Leben führen können. Das Gespräch
war wie immer kurz und bündig. Der
dottore
würde am nächsten Morgen um sechs nach Bukarest fliegen und danach so schnell wie möglich nach Mailand zurückkehren. In der
Klinik würde alles für seine Ankunft vorbereitet sein. Immer wenn ein Kind starb, machte er Gewinn, kalkulierte Santanna nüchtern.
Da war er Geschäftsmann, kein Moralist.
Er legte das Handy in den Schrank zurück, setzte sich an den Tisch und trank eine Tasse Kaffee. Lustlos kaute er auf einer
Scheibe Zwieback mit Honig herum. Sein Ernährungsberater betonte immer wieder, wie wichtig Kohlenhydrate zum Frühstück waren.
Kaum hatte er einen Bissen zu sich genommen, ertönte ein heiteres Marschmotiv. Seufzend nahm er den Anruf an. Er wusste, wer
dran war.
»Wann bekomme ich meine Kinder zurück? Erst schreibt mir irgendein Durchgeknallter anonyme Briefe, und jetzt noch diese Frau,
die über alles Bescheid weiß! Von wegen Geheimnis!«, herrschte Smeralda ihn an, so laut, dass Santanna das Handy vom Ohr weghalten
musste.
»Die anonymen Briefe kannst du vergessen, das wird aufhören. Aber diese Frau interessiert mich. Wer ist das?«
»Chiara Bonelli, eine Journalistin von Telestella.« Smeralda erzählte ihm die ganze Geschichte. »Was soll ich denn jetzt machen?
Besser, ich packe aus. Die Presse bekommt ohnehin Wind davon und wird in meiner Vergangenheit herumwühlen. Dann haben wir
die Kontrolle über die Angelegenheit ganz verloren. Ich schwöre dir, ich habe kein Sterbenswörtchen verloren. Sag ihnen das!
Sie sollen mir endlich meine Kinder zurückgeben!«
Zum ersten Mal an diesem Morgen wusste Santanna nicht, was er sagen sollte. Er atmete tief durch. »Ich bringe das in |152| Ordnung, mach dir keine Sorgen«, sagte er und beendete das Gespräch. Wie konnte diese Journalistin hinter das Geheimnis gekommen
sein? Wer konnte sie verraten haben? Etwa jemand aus der
parrina
? Gab es einen Verräter in der Familie?
Rosy betrat die Küche. Sie war auf dem Weg nach Hause, den Mantel schon übergezogen, die Tasche über die Schulter gehängt.
»Sind Sie sicher, Signora, dass ich nicht im Esszimmer decken soll?«
»Danke, Rosy, aber ich habe heute Abend keinen Appetit«, log Anna Principini. »Außerdem hat mein Mann angerufen, dass er länger
in der Klinik bleibt und auswärts isst.« Dabei blickte sie nervös zu ihrer Haushälterin hinüber und knabberte an der Kuppe
ihres rechten Daumens. Natürlich hätte sie sich lieber eine Zigarette angesteckt oder einen Keks in den Mund geschoben, aber
Giampiero reagierte allergisch, wenn sie in der Küche rauchte. Und vor Rosy zu essen, nachdem sie gesagt hatte, sie habe keinen
Hunger, dazu war sie zu stolz. Deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten, bis die Haushälterin gegangen war. Dann
würde ihr täglicher Kampf gegen die Sucht in die nächste Runde gehen. Sie hatte sich geschworen, an diesem Abend nur etwas
Leichtes zu essen, vielleicht einen Salat mit Thunfisch.
»Wenn Sie wirklich keinen Hunger haben … Schade, gerade heute ist mir der Reisauflauf besonders gut gelungen. Es sind vier
verschiedene Sorten Käse drin. Wenn Sie es sich doch noch anders überlegen sollten, können Sie den Auflauf einfach in die
Mikrowelle schieben.«
»Nein, danke, Rosy«, sagte Anna barsch. Manchmal hasste sie ihre Haushälterin, hatte gleichzeitig aber ein schlechtes Gewissen,
weil Rosy das wirklich nicht verdient hatte.
»Gut, Signora, ich gehe dann. Ruhen Sie sich jetzt aus, und |153| wenn irgendetwas ist, rufen Sie mich bitte auf dem Handy an, in Ordnung?« Rosy wartete, bis Anna Principini ihr zugenickt
hatte, und verließ dann die Küche.
Sobald sie die Haustür ins Schloss fallen hörte, stürzte Anna zum Ofen, zog das Backblech heraus und starrte gierig auf den
Reisauflauf. Sie mobilisierte ihre gesamte Willenskraft, um das Blech wieder in den Ofen zu schieben und wie geplant den Salat
aus dem Kühlschrank zu holen. Vergebens. Der ständige deprimierende Kampf mit sich selbst rieb sie auf. Was, wenn Giampiero
sie in diesem
Weitere Kostenlose Bücher