Ich kenne dein Geheimnis
abgelehnt, sie musste erst
einmal zur Ruhe kommen. Am liebsten würde sie diesen Mann aus ihrem Leben streichen, aber das war unmöglich. Ihre Vergangenheit
würde sie immer wieder einholen. Sie blickte aus dem Fenster, doch sie war zu sehr in Gedanken versunken, um die Umgebung
überhaupt wahrzunehmen.
|146| Die Wächter wechselten sich ab, sie trugen Masken und sprachen nur das Nötigste, wie: »Wir gehen jetzt«, wenn der tägliche
Spaziergang anstand. Die Gefangene zog einen Schal oder einen Mantel über und ging in Begleitung eines Wächters auf den Hof.
Aber sie wurde schnell müde, was in ihrem Zustand nicht überraschte. Sie betrachtete die scharrenden Hühner und den Hund,
der ihr hinterherlief und freudig an ihr hochsprang. Jeden Tag das Gleiche, ihre einzige Möglichkeit für ein bisschen Glück,
ein Genuss, den sie bis zur Neige auskostete. Sie sog den Duft der Landschaft ein, manchmal warm und süß, manchmal kalt und
modrig. Ansonsten war sie einsam und allein mit ihren Gedanken, die aber nur um eine Frage kreisten: Wann würde es endlich
vorbei sein? Alles, was danach kam, würde sie bewältigen, da war sie sich sicher. Doch der Gedanke an
diesen Tag
ließ sie nicht los. Selbst nachts nicht, wenn er mit der wirren, aber nie völlig abwegigen Logik ihrer Träume verschmolz.
Die Träume ließen die schreckliche Erinnerung an die zweite Entführung wieder aufleben. Im Gegensatz zum ersten Mal wusste
sie genau, wer dahintersteckte und warum man sie entführt hatte. Doch dieses Mal war ihre Angst größer, eine Angst, die sie
einerseits lähmte, ihr andererseits aber auch übermenschliche Kräfte verlieh. Sie wusste, dass sie sich keine Schwäche erlauben
konnte, denn jetzt war sie nicht mehr nur für ihr eigenes Leben verantwortlich, sondern auch für das Leben ihrer Kinder, die
sie unter dem Herzen trug.
Dann war es so weit. Die Wehen hatten bereits begonnen, jede noch so kleine Bewegung verursachte Schmerzen und panische Angst.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, der Entführer stand vor ihr, an seiner Seite eine dunkelhaarige junge Frau, die sie noch
nie zuvor gesehen hatte.
»Das ist die Hebamme, sie wird sich um dich kümmern. |147| Alles wird schnell vorbei sein, dann kannst du wieder arbeiten gehen«, hatte der Mann mit verächtlicher Stimme gesagt.
Sie war aufgestanden, hatte die Hände zu Fäusten geballt und ihm entgegengeschrien: »Ich werde dich vernichten, dich und die
anderen mit dir!« Dann war sie von einer Wehe gekrümmt zu Boden gesunken. »Lupo habt ihr getötet, was habe ich noch zu verlieren?
Viel Spaß mit deinem dreckigen Geld, du Schwein!« Sie spuckte auf den Boden.
Der Mann hatte nur gelacht und sie dann mit der Hebamme allein gelassen, die ihr beim Aufstehen half und das Bettlaken glattzog.
Ohne die Frau eines Blickes zu würdigen, hatte Smeralda zu beten begonnen: »Heilige Eustochia, rette meine Kinder! Dann werde
ich mein Leben ändern, für immer, das verspreche ich dir. Bestärke auch die anderen, nie wieder für dieses Schwein zu arbeiten!«
Dabei presste sie das Heiligenbildchen, das sie immer bei sich trug, an ihre Brust.
Um zwei Uhr nachts war nach einer schweren Geburt ein Zwillingspärchen zur Welt gekommen, ein Junge und ein Mädchen.
Ihr Entführer hatte das Zimmer betreten, während die beiden Kleinen an ihrer Brust lagen. »Du hast es geschafft, Smeralda
.
Ich habe immer gewusst, dass dich nichts umwerfen kann. Du bist einfach die Beste. Und jetzt beweise es!« Dann hatte er der
Hebamme mit einem Kopfnicken zu verstehen gegeben, sie allein zu lassen. Seine Worte waren wie Hammerschläge. »Vergiss nie,
wie großzügig wir sind. Die Kinder sind deine Lebensversicherung. Du bleibst am Leben, deine Kinder bleiben am Leben, und
wenn du je die Absicht haben solltest, einen deiner Wohltäter zu verraten, dann denke einfach an deine Kinder.«
Trotz ihrer Erschöpfung fand Smeralda noch die Kraft, zu schreien: »Die Kinder gehören mir! Ich werde dich und die |148| anderen niemals verraten. Ich werde alles tun, was ihr wünscht, aber lasst mir meine Kinder!« Der Mann nickte beifällig und
strich ihr über Gesicht und Hals: »So gefällst du mir!«
In den folgenden Tagen bekam sie hohes Fieber. Die Hebamme mit den streng nach hinten gekämmten Haaren, deren Namen sie noch
immer nicht kannte, kam und ging. Sie beugte sich über ihr schweißnasses Gesicht und gab ihr kleine Schlucke Wasser zu trinken.
Aber
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