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Ich kenne dein Geheimnis

Titel: Ich kenne dein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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York, von Florenz über Rom und Paris bis nach Tokyo. Gerardo Boschi war das Aushängeschild des »Made in Italy«, vielleicht
     nur übertroffen von der Stilikone Beppe Modenese. Boschi war Vivy vor etwa zehn Jahren in Florenz auf der Herrenmodemesse
     »Pitti Uomo« vorgestellt worden, richtig kennengelernt hatten sie sich aber erst vor einigen Jahren. Heute schätzte sie ihn
     vor allem als zuverlässigen Freund. Gerry war einer der Ersten, die sich als homosexuell geoutet hatten, und seine Beziehung
     zu Conte Cesco de’ Razzi lebte er mit großer Selbstverständlichkeit. Als Vivy von ihrem Projekt erzählt hatte, war Gerry spontan
     Feuer und Flamme gewesen, doch die Baronessa wusste, wie beschäftigt er war, und sie wollte |215| das Maximum an Qualität. Deshalb waren sie übereingekommen, erst dann mit der Planung des Stiftungsfestes zu beginnen, wenn
     er den Rücken frei hätte. Jetzt war es so weit. »Gerry, ich möchte, dass das die rauschendste Party des Jahres wird, ein Fest,
     an das man sich auch noch in einigen Jahren erinnern wird«, hatte sie ihm mit leuchtenden Augen erklärt.
    »Mit dem nötigen Kapital kein Problem«, hatte Gerry in seiner sprichwörtlichen Direktheit geantwortet, die auch nicht vor
     Beleidigungen haltmachte, was ihn bereits einige Freundschaften gekostet hatte. Keine echten Freundschaften, wie er immer
     wieder betonte. Gerry hatte natürlich recht, aber Geld war für Vivy zweitrangig. Man sollte sich an ihren Sohn erinnern, und
     alle Gerüchte, die sein kurzes Leben begleitet hatten, sollten endgültig verstummen. Alles andere war ihr egal.
    Mit einem Lupo-Gedenkpreis, der medienwirksam an herausragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verliehen werden sollte,
     würde ihr Sohn nie ganz aus dem Gedächtnis der Menschen verschwinden. Wie sagte Gerry mit unerschütterlichem Zynismus immer:
     »Unsterblich wird ein Mensch heute nur durch die Medien.«
     
    Bevor sie zu Bett ging, wollte Vivy noch einen Blick in die Bilanzen werfen. Der Export hatte stark angezogen, ihr Mann wäre
     stolz auf sie gewesen. Aber es gab auch die andere Seite der Medaille. Die Konkurrenz hatte in den letzten Jahren nicht geschlafen,
     und sie wurde auch nicht jünger. Nicht, dass es ihr an Energie fehlte, aber die ständigen Kleinkriege ermüdeten sie. Ans Aufgeben
     dachte sie deshalb noch lange nicht, schon allein im Gedenken an ihre Kinder.
    Sie warf einen raschen Blick auf die Kostenseite. Sie hatte nicht geknausert, sondern geklotzt. Frei nach der Devise: Wer |216| wachsen will, muss investieren. Seufzend beschloss sie, das Bilanzproblem auf den folgenden Tag zu verschieben und noch etwas
     zu lesen. Da sie in ihrem Bücherschrank nichts fand, was ihr Interesse weckte, ging sie zu dem wuchtigen Schrank aus dem 18.
     Jahrhundert hinüber, der die ganze Wand des Salons einnahm. Seit einer Weile schon hatte sie keinen Blick mehr in das Geheimfach
     geworfen, das sich links unter dem Abbild einer anmutigen Pagode versteckte. Vivy hatte den Mechanismus per Zufall entdeckt,
     als sie die wunderbaren Intarsien des Schrankes fotografierte. Die filigranen Muster sollten später eine Seidenjacke für Gerry
     schmücken. Sie hatte eine Unebenheit am Rand der Pagode bemerkt und mit Hilfe eines Vergrößerungsglases an der Stelle einen
     kleinen Spalt entdeckt. Ein kleiner Ruck mit einem Brieföffner und das Geheimfach hatte sich geöffnet. Eine aufregende Entdeckung!
     Noch heute schlug ihr Herz schneller, wenn sie daran zurückdachte.
    Vorsichtig öffnete sie das Geheimfach, in dem Baron Wolfgang von Altemburg einen Teil seiner Memoiren versteckt hatte, und
     nahm die Mappe heraus.
    Vivy öffnete die Mappe und machte es sich auf dem Sofa bequem, eine Kaschmirdecke um die Beine geschlungen. Wie jedes Mal,
     wenn sie die vergilbten Blätter in Händen hielt, hatte sie den Eindruck, ihren Urahn besser kennenzulernen. Enthielten die
     jahrhundertealten Aufzeichnungen vielleicht eine geheime Nachricht, die ihr hier und heute weiterhelfen konnte? Im sanften
     Licht der Stehlampe begann Vivy zu lesen.
    In Palermo wächst die Macht der Beati Paoli von Tag zu Tag. Das Volk verehrt die Sekte, die ihre Wurzeln in der Stadt hat
     und unter dem Schutz des heiligen Francesco da Paola steht. Aber auch ich kann immer mehr treue Gefolgsleute um mich scharen,
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und ich glaube fest daran, dass wir siegen werden. Wer sich uns entgegenstellt, wird im Namen der Freiheit des Volkes vernichtet
     werden.
    Die Zeit

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