Ich kenne dein Geheimnis
Notizblock aus der Jackentasche und begann: »Mangano, Smeralda, Beruf: Schauspielerin,
früherer Name: Calogero, Maria Catena, geboren in Mongiuffi in der Provinz Messina, Alter: zweiunddreißig, besondere Kennzeichen:
ausgesprochen attraktiv.« Er räusperte sich, dann warf er Chiara einen vielsagenden Blick zu.
Die Journalistin lächelte verlegen.
»Weiter, Bonadeo.«
»Nach der achten Klasse die Schule verlassen, danach ist sie erst nach Catania, später nach Palermo gegangen, um als Verkäuferin
oder als Hostess zu arbeiten.« Er blätterte die Seite um, »keine Vorstrafen und … ledig, keine Kinder. In ihrem Heimatdorf
gilt sie als leichtlebig, außerdem gibt es Gerüchte, |209| sie sei als Minderjährige vergewaltigt worden, aber niemand wollte mehr darüber sagen.«
»Eine Mauer des Schweigens«, ergänzte Barbera.
»Dabei hat er es sogar mit Kalabresisch versucht«, scherzte Bonadeo, dann fügte er an Silvia gewandt hinzu: »Das ist alles,
Commissario.«
»Danke, Bonadeo, ihr könnt gehen.«
Als die beiden Frauen wieder allein waren, zeigte Silvia ihrer Freundin den Artikel im Corriere della Sera.
»Habe ich schon gelesen, die arme Frau …«
Silvia nickte: »Chiara, sie ist genauso gestorben, wie du es in deinem Traum erlebt hast …«
»Aber es war doch Selbstmord? So stand es jedenfalls in den Zeitungen.«
»So sah es zunächst auch aus. Aber die Autopsie hat ergeben, dass sie Hämatome an den Armen hatte, als ob jemand sie gewaltsam
gepackt und …«
»… aus dem Fenster gestoßen hätte«, murmelte Chiara mit starrem Blick, und ein furchtbarer Kopfschmerz begann in ihren Schläfen
zu hämmern.
Vor dem Zelt hatte sich eine erwartungsvolle Menschenmenge eingefunden und wartete auf Einlass, darunter viele Journalisten
und Fotografen, die auf die VIPs lauerten, die von schwarzgekleideten Bodyguards zu einem Nebeneingang geleitet wurden. Chiara
umklammerte aufgeregt die Einladung zur Präsentation der Herbst-Winter-Kollektion von Roberto Cavalli, eine stilvolle Hochglanzkarte,
auf der zwei Models unter einem funkelnden Sternenhimmel zu sehen waren. Sie hatte nicht wirklich erwartet, dass es klappen
würde, aber Silvia hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt.
Nach zwanzig Minuten Wartezeit erreichte sie ihren Platz |210| in der zweiten Reihe. Nach und nach füllte sich das Zelt, Geräuschpegel und Temperatur stiegen an. »Schon eine halbe Stunde
Verspätung«, murmelte sie und warf einen Blick auf die Uhr. Ein junger Mann neben ihr lächelte sie freundlich an: »Die Models
sind direkt von einer Modenschau im Viale Piave gekommen und müssen erst neu geschminkt und frisiert werden. Das dauert mindestens
noch eine Viertelstunde.« Am Hals des Mannes baumelte eine professionell aussehende Kamera, und Chiara war sicher, ihn irgendwo
schon mal gesehen zu haben, auch wenn sie sich im Augenblick nicht daran erinnern konnte, wo. Vielleicht ein bekannter Fotograf?
»Tja, und die VIPs lassen auf sich warten.«
»Da kommt eine, und auch noch die Schönste!« Ihr Nachbar zeigte auf eine dunkelhaarige Frau, die im Blitzlichtgewitter der
Fotografen durch den Nebeneingang ins Zelt gekommen war. Chiara drehte sich um. Smeralda Mangano trug ein tiefdekolletiertes
Kleid mit Leopardenmuster, ihre schwarzbestrumpften Beine schienen nicht enden zu wollen. Chiara wurde mulmig, hoffentlich
erkannte sie die Schauspielerin nicht. Schließlich wurde es im Zuschauerraum dunkel und die Show begann. Alle Spots waren
auf Sharon Stone gerichtet, die gemeinsam mit dem Stardesigner Roberto Cavalli aus dem Backstagebereich kam, um die anwesenden
VIPs persönlich zu begrüßen.
Chiara war begeistert. Die Models schritten über den Laufsteg und präsentierten atemberaubende Kreationen.
Plötzlich erlosch das Licht, die Musik dröhnte weiter. Nur ein einziger Spot war auf den Laufsteg gerichtet. Im Lichtkegel
zeichnete sich eine dunkel gekleidete, massige Figur ab, eine schwarze Maske verdeckte das halbe Gesicht. Erschrocken blickte
Chiara sich um. Sie war allein, das Publikum war verschwunden. Panik stieg in ihr auf. Mit aller Kraft wehrte sie sich gegen
die immer stärker
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werdende Vision. Die schwarze Figur begann zu schwanken. Der Mund schien sich von dem maskierten Gesicht zu lösen, kam näher
und näher und wurde immer größer. Chiara konnte von den Lippen ablesen, was der Unbekannte ihr sagen wollte: Ich will dich!
In diesem Moment brandete Applaus auf, und
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