Ich kenne dein Geheimnis
Chiara kehrte in die Realität zurück. Das Publikum war wieder da und bejubelte
Roberto Cavalli, der Arm in Arm mit Sharon Stone und Penélope Cruz über den Laufsteg schritt und sich bei den begeisterten
Zuschauern bedankte.
Chiara nutzte diesen Moment, um unbemerkt das Zelt zu verlassen. Sie ging auf den Wagen zu, den ihr Silvia samt Fahrer zur
Verfügung gestellt hatte, dann ließ sie sich ins Hotel bringen, duschte und überlegte, wo sie zu Abend essen könnte. Silvias
Nähe hätte ihr gutgetan, aber sie wollte die Gastfreundschaft ihrer Freundin nicht zu sehr strapazieren. Und den Polizisten
konnte sie schlecht fragen, ob er mit ihr essen wollte.
Als Silvia anrief, erkundigte sie sich gerade beim Portier nach einem empfehlenswerten Restaurant in der Nähe.
»Wie war die Modenschau?«
»Wunderbar«, log Chiara.
»Das freut mich. Hast du zufällig ein attraktives männliches Model zum Abendessen eingeladen?«
»Ich stehe eher auf Anwälte«, scherzte Chiara.
»Nun, da du offensichtlich keine Verpflichtungen hast, warum kommst du heute Abend nicht zu mir? Ich habe ein paar Freunde
eingeladen, es gibt Penne all’arabbiata. Was meinst du?«
»Eine gute Idee, ich freue mich.«
»Ach, noch etwas …«, Silvias Stimme nahm plötzlich einen ernsten Tonfall an, »morgen haben wir einen weiteren Ortstermin in
Anna Principinis Wohnung.«
|212| »Kann ich dabei sein?«
Silvia antwortete nicht gleich. »Ich glaube kaum, dass der Staatsanwalt damit einverstanden wäre, aber vielleicht fällt mir
ja noch was ein, wie wir dich reinschummeln können. Und jetzt beeil dich!«
Am Ende der Modenschau hatte Smeralda Mangano den PR-Agenten von Roberto Cavalli gebeten, sie mit dem Taxi statt der ihr zur
Verfügung stehenden Limousine nach Hause fahren zu lassen. Er solle sich keine Sorgen machen, sie allein trage die volle Verantwortung
für diesen Schritt. Sie wollte allein sein, selbst entscheiden, auch wenn es nur um Kleinigkeiten ging. »Wann bin ich jemals
wirklich frei gewesen?«, hatte sie sich gefragt, als der Designer sie begrüßt hatte. Dieser Abend stand von Anfang an unter
keinem guten Stern. Ihre ohnehin schon schlechte Stimmung hatte sich noch mehr verdüstert, als sie diese penetrante Journalistin
unter den Gästen entdeckt hatte. Smeralda schäumte vor Wut. »Dieser verfluchte Kerl hat mich angelogen«, dachte sie, als sie
auf der Rückbank des Taxis saß. Als sie vor ihrer Wohnung angekommen waren, wollte der Taxifahrer kein Geld nehmen, es sei
eine große Ehre gewesen, sie fahren zu dürfen. Smeralda war frustriert. Nie wieder würde sie ein normales Leben führen können.
Zu Hause zog sie die Schuhe aus, dann hörte sie den Anrufbeantworter ab. De Gubertis hatte eine Nachricht hinterlassen: »Ich
liebe dich. Du fehlst mir so sehr. Ich bin in Paris, der Stadt der Versuchungen. Ich kann nur widerstehen, weil ich ständig
an dich denke …«
Smeralda schnaubte verächtlich, löschte die Nachricht und hörte die nächste ab, sie war von Fabio, ihrem Personal Trainer.
Er bat sie, den morgigen Termin auf sechzehn Uhr zu verschieben. |213| Während sie auf die dritte Nachricht wartete, schrieb sie Fabio eine Bestätigungs-SMS. Als sie auf »Senden« drückte, hatte
sie plötzlich das Gefühl, ihr würde ein Eiswürfel den nackten Rücken herunterrutschen. Aus dem Anrufbeantworter drang die
ihr wohlbekannte, verhasste Stimme: »Ich bin um zehn bei dir. Richte dich danach.«
Smeralda biss sich auf die Lippen und versuchte sich zu beherrschen. Doch die Tränen rannen unaufhaltsam über ihr Gesicht.
Nichts hatte sie mehr im Griff, selbst ihre eigenen Gefühle nicht.
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Der Tag war in null Komma nichts an ihr vorbeigeflogen, und doch war Vivy noch voller Energie, als wäre sie gerade erst aufgestanden.
Die Gründungsfeier der Stiftung zu Ehren ihres Sohnes hielt sie im Bann. Dieses Fest sollte ein epochales Highlight werden,
mehr als nur ein Gesellschaftstermin. Für die Ausrichtung der Rosso-Bianco-Oro-Party hatte sie den Star der Szene gewinnen
können: Gerardo Boschi. Er war der ungekrönte König in Sachen PR und mit seinem extravaganten Auftreten ein echter Trendsetter:
Seine feminin geschnittenen, grellbunten Samtjacken und die der Mode des 19. Jahrhunderts entlehnten schweren Mäntel, in die
er sich im Winter hüllte, hatten eine wahre Retrowelle ausgelöst. Seine Ideen wurden auf der ganzen Welt geschätzt, von Mailand
bis New
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