Ich kenne dein Geheimnis
drängt. Die Adligen haben sich im Kampf gegen die Geheimbünde zusammengeschlossen, weil sie um ihre Macht fürchten.
Genauso geht es der Kirche, mit all ihren Bischöfen, Äbten und Priestern. Ich fürchte jedoch, dass mich die Brüder des Feuers,
deren Zeichen auch ich am Körper trage, bis zum Ende meiner Tage jagen werden. Aber ich werde mich wehren wie ein Wolf, zu
Ehren meines Sohnes Lupo.
So schreibt Wolfgang von Altemburg, Wolf von Österreich, Wolf der Seerepublik Venedig und Wolf des heiligen Sizilien.
Als sie die letzten Sätze las, zuckte Vivy zusammen. Niemand konnte besser verstehen als sie, was diese Worte bedeuteten.
Auch sie hätte für ihren über alles geliebten Sohn, Lupo Sannazzaro d’Altino, wie eine Wölfin gekämpft.
Sizilien, 1771
Das Smaragdcollier glitzerte im Schein der brennenden Kerzen.
»Donna Eufrasia, seht nur, wie herrlich sie funkelt!« Tina hielt die beiden Enden der Halskette und schwenkte sie vor den
traurigen Augen der Baronessa hin und her. »Diese Pracht ist Eurer würdig. Bewundert Euch im Spiegel …«, die Dienerin war
außer sich vor Begeisterung.
Auf Donna Eufrasias Antlitz trat ein verächtliches Lächeln. Sie nahm die Kette, hielt sie an den großzügigen Ausschnitt ihres
grünen Brokatkleides, auch ein Geschenk ihres Mannes. Zusammen mit kostbaren Seidenballen waren diese Schätze aus der fernen
Republik Venedig geliefert worden. Die Smaragde waren in Gold gefasst, der von Diamanten umrahmte Solitär in der Mitte der
Kette war halb so groß wie ihr Handgelenk.
|218| »Sie gefällt mir nicht«, Eufrasia warf den Schmuck achtlos auf den Frisiertisch.
Tina riss entsetzt die Augen auf. »Donna Eufrasia, wie könnt Ihr …? Es ist ein Geschenk zur Geburt Eures Sohnes. Und außerdem«,
sie nahm die Kette wieder in die Hand und hielt sie hoch, »wurde sie eigens für dieses Gewand angefertigt!«
Eufrasia drehte den Kopf zur Tür, wo gerade die Amme mit dem kleinen Lupo auf dem Arm erschienen war. Wie immer, wenn sie
den Jungen zu Gesicht bekam, versuchte sie in einem Anflug irriger Hoffnung, irgendetwas von sich in ihm zu entdecken. Vergebens.
Dafür war Lupo seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Die gleichen dichten, dunklen Locken, die Augen. Eufrasia zuckte
verärgert zurück, als der Kleine die Ärmchen nach ihr ausstreckte.
»Agata, ich bin müde. Bring den Jungen bitte ins Bett«, sagte sie kalt und blickte aus dem Fenster.
Lupo begann zu weinen, als hätte er den Sinn der Worte seiner Mutter verstanden. Agata versuchte ihn zu beruhigen und drückte
seinen Kopf gegen ihren üppigen Busen. »Donna Eufrasia, Euer Sohn ist ganz heiß, vielleicht hat er Fieber.«
»Worauf wartest du dann noch? Bring ihn ins Bett!« Wütend eilte die Baronessa aus dem Zimmer. Die beiden Dienerinnen blickten
ihr nach. Was war nur aus Donna Eufrasia geworden? Seit Lupos Geburt war sie nicht mehr dieselbe: launisch, herrisch, teilnahmslos
und kalt. Äußerlich allerdings hatte sie gewonnen, die Taille schmaler, der Busen straffer. Die Gesichtszüge schienen feiner
geworden zu sein, wodurch ihre Augen noch größer wirkten. Sie sah jünger aus, obwohl ihre Haare an den Schläfen einen silbergrauen
Schimmer bekommen hatten. Sie trug die grauen Strähnen mit Würde, selbst wenn sie Gäste hatten, weigerte sie sich, sie unter
einer Perücke zu verbergen.
|219| »Wenn sie nur endlich wieder richtig essen würde«, seufzte Tina und legte die Smaragdkette zurück auf den Frisiertisch.
»Sie ist wie eine Heilige …«, flüsterte Agata und wiegte sanft den Kleinen, der in ihren Armen eingeschlafen war. »Sie betet
ununterbrochen, und der einzige Mensch, mit dem sie spricht, ist Michele, der Abt.«
»Warum lebt sie wie eine Nonne, jetzt, wo sie so gut aussieht? Ich würde das bestimmt nicht machen …«
Volfango d’Altino hatte Principe Federico di Gravina und Barone Cosimo Cutò mit ihren Gefolgsleuten und Familien zum Abendessen
eingeladen. Vor der Villa hatten livrierte Diener aus dem Hause d’Altino die Kutschen in Empfang genommen und dem Gefolge
die Unterstände gezeigt, während die adligen Gäste in den großen, mit prachtvollen Gobelins geschmückten Festsaal geleitet
wurden. In der Mitte des Raumes war eine riesige, hufeisenförmige Tafel gedeckt, die von Dutzenden Kandelabern beleuchtet
wurde. Vier Diener standen neben einem Rotweinbrunnen und einem Fass, aus dem ununterbrochen Zucker rieselte. Die Gäste
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