Ich kenne dich
gehört.«
»Von Chloe?«
Emma nickt. »Manche Dinge hättest du besser für dich behalten.«
»Du hättest dich nicht darüber lustig gemacht, oder?«, sage ich. Vielleicht können Emma und ich jetzt Freundinnen sein. Wir haben den Kontakt gehalten, all die Jahre. Das muss was wert sein. Ich will nicht an all die vergeudeten Jahre denken – lieber hätte ich jemand anderen, eine andere Chloe, um mir abends Gesellschaft zu leisten, um Geheimnisse zu teilen, um in Cafés zu gehen und zu Debenhams und sich auf das Klettergerüst im Park zu setzen. Sie könnte meine Freundin sein.
»Ich begleite dich danach«, sage ich. »Ich komme mit ins Hundeheim. Du hast Frühschicht, ja? Gassi gehen, waschen und so? Ich werde dich begleiten.« Ich zeige ihr die Spitze meiner Turnschuhe. »Die Dinger hier sind schon alt. Es spielt keine Rolle, wenn sie was abbekommen. Und hinterher können wir frühstücken gehen, oder?«
Emma erwidert nichts darauf. Sie blickt hinaus auf das fließende graubraune Wasser im Kanal – darauf, wie das offene Watt sich aufzulösen und zu zerfließen scheint in Schatten und fast solide Landzungen, und sich dann wieder in beweglichen Schlamm und aufgewirbeltes Wasser zurückverwandelt. Ich frage mich, wie lange es wohl her ist, dass Emma die Stadt verlassen hat, dass sie auf der Autobahn fuhr, dass sie an einem fremden Ort war, ohne Angst zu haben. Sie blickt einfach hinaus, ganz gelassen. Und das hier ist ein unheimlicher, gefährlicher Ort. Wenn man weit genug hinausstarrt, wird das Wasser heller. Es ist nie blau, nur weniger braun. Man sieht eine Boje, und weiter draußen einen Krabbenkutter, an dem die roten Lichter brennen, verfolgt von einem Schwarm kreischender Möwen.
»Wenn du Kontakt suchst«, sagt sie sanft, »geh deine Mutter besuchen. Sie wohnt immer noch in eurem alten Haus. Hinten im Garten steht immer noch derselbe Wagen aufgebockt. Dieselben Gardinen. Derselbe Kirschbaum. Sie hängt an Heiligabend immer noch denselben Kranz an die Tür und kettet ihn immer noch am Türgriff fest, damit ihn keiner klauen kann.«
»Du weißt mehr über sie als ich«, sage ich. Es klingt missmutig.
Sie schüttelt den Kopf. »Ich bin nie reingegangen. Bloß ein paarmal vorbeigefahren. Ich wollte wissen, ob du sie noch besuchst. Vielleicht sogar mit ihr redest.«
»Ich habe nie was gesagt.«
»Ist auch nicht nötig.«
Ich sehe Emma nicht an, sondern blicke auf das Wasser und spüre, wie der Boden unter meinen Füßen wegsackt, bis ich plötzlich das Gefühl habe, als würde ich nach vorn kippen und fallen, und da ist nichts und niemand, an dem ich mich festhalten kann. Es war eine schreckliche Verschwendung. Ich könnte heulen, und meine Wahrnehmung der Welt schrumpft auf eine enge, begrenzte Perspektive meiner Hände und Füße auf dem kalten Geländer, dessen Anstrich schorfig ist und unter meinen Handflächen abblättert.
»Lola?« Emma berührt meinen Arm. »Komm schon, Lola, hab dich nicht so.«
Ich kann nicht reden. Ich möchte reden. Ich möchte ihr sagen, dass mein Name Laura ist und dass sie mich nie wieder Lola nennen darf. Ihr sagen, dass sie nie wieder mit mir sprechen darf. Ich möchte ihr die Hand auf den Rücken legen und ihr einen Schubs geben, sodass sie über das Geländer stürzt und im Schlamm versinkt und ich sie nie wieder sehen muss oder an sie denken.
»Es wird alles gut«, sagt sie. »Das weißt du. Alles wird wieder gut.«
Mir ist schleierhaft, wie sie fähig ist, mir das zu sagen. Wie sie noch genug von sich selbst übrig haben kann, um zu teilen. Ich habe etwas sehr Schlimmes getan. Ich öffne den Mund, und ich bringe immer noch keinen Ton heraus, aber das ist auch nicht nötig, weil ich plötzlich, weit draußen auf dem Wasser, wo der Kanal abfällt und tief und selbst für erfahrene Seeleute tückisch wird, ein blaues Schimmern auf der Oberfläche der Bucht sehe. Es ist ein Leuchten. Ein kaltes, künstlich wirkendes Licht – wie eine Neonröhre oder das Flimmern einer Mattscheibe, und es blinkt und wabert und geht schließlich aus.
Ich werfe einen Blick zu Emma, und sie erwidert ihn mit einem Nicken.
»Das habe ich schon mal beobachtet. Das hat was mit den Algen zu tun.«
Ich lache, ich kann es nicht verhindern. Sie sieht mich an und zieht eine Grimasse. »Was hast du?«, und bevor ich antworten kann, lacht sie auch.
»Das liegt an den Algen oder am Plankton«, sagt sie. »Das sieht man total oft im Pazifik.«
»Ich weiß, wie es zustande kommt. Ich hätte
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