Ich kenne dich
überfüllt war und die Leute sich auf der Bowling-Rasenfläche verteilten. Jemand ging mit einem Tablett Tee in diesen beigefarbenen Plastikbechern mit Griff-Untersatz herum, der verhindert, dass man den Becher zu fest zusammendrückt und sich mit heißer Flüssigkeit übergießt. Wir waren einstimmig für ein Andenken. Ein Denkmal. Eine Gedenkstätte. Die Stadt hat daraufhin beschlossen, einen Pavillon am Ufer ihres Weihers zu errichten.
Es ist kein Weiher und erst recht nicht ihrer. Vielmehr handelt es sich um eine zementierte Grube, von Menschen errichtet und tiefer, als sie aussieht. Die Hefe im Brot für die Enten hat das Wasser verschmutzt, weshalb es weder Fische noch Schilf darin gibt – es ist eine tote, schwarze Scheibe, umgeben von grauen und kahlen Bäumen und Weißdornbüschen. Das Gestrüpp ist mit zerrissenen Plastiktüten und ausgebleichten Chipsverpackungen dekoriert.
Sicherlich kein Ort, an dem jemand, am wenigsten Chloes Eltern, sitzen und verweilen möchte, wie auf der Bank stehen wird. Aber der Rat hat es beschlossen. Die Stadt stellt das Geld bereit. Terry rührte dafür die Werbetrommel und moderierte die Spendenaktion im Fernsehen, und weil Chloe und Carl immer in den Wald gegangen waren – um ungestört zu sein – , wurde für einen Pavillon gestimmt, verziert mit Steintauben und Gipsengeln, umgeben von Gitterranken und mit einem eigenen gepflasterten Weg zum verdreckten Ufer des Weihers.
Sie haben ein Modell davon gebaut, das die Studiokamera heranzoomt, sodass es im Fernsehen richtig echt aussieht. Dieser Pavillon (ein nutzloses Zierbauwerk) ist halb Mahnmal für eine gescheiterte junge Liebe und halb Aushängeschild für das städtische Modernisierungsprogramm: soziale Brennpunkte, sozialer Zusammenhalt – ein Treffpunkt für Jugendliche, wo sie ihren Klebstoff schnüffeln können. Es ist makaber und sentimental, es erfüllt alle wichtigen Voraussetzungen für die städtische Finanzierung, und jetzt läuft es in den Lokalnachrichten.
Der Februar war bisher mild und feucht, weshalb der Boden leicht umzugraben ist. Die Außenkamera zeigt den Bürgermeister, der das freigelegte Stück Erde mit einem – wie ein Maibaum mit rosaroten und weißen Bändern geschmückten – Spaten attackiert. Chloes Eltern, zerfressen von Schuldgefühlen, haben sich gewünscht, dass die Gedenkstätte die Liebe preisen soll und das Leben und den heiligen Valentin, und als ein Zugeständnis an diesen Wunsch organisierte die Stadt die Bänder für den Spaten und die rosafarbenen und weißen Luftballons – gratis . Der Bürgermeister achtet nicht auf die Klinge, die in den Boden sinkt, sondern lächelt ins Blitzlichtgewitter.
Als die Erde sich öffnet, gibt es nichts zu sehen außer einem Plastikfetzen – dicker als eine Plastiktüte, aber nicht so dick wie eine Plane. Die Spatenklinge durchstößt das Plastik, und ein Teil davon verfängt sich darunter. So weit nichts Spektakuläres. Jedenfalls nichts, was wir zu Hause am Bildschirm sehen können. Nichts Außergewöhnliches, abgesehen von dem schmutzigen Stofffetzen, der mit der Erde hochbefördert wird, als der Bürgermeister sich zurückbeugt und den Spaten rüttelt, um den ersten Brocken Erde mit der Klinge herauszuhieven. Der Fetzen könnte alles Mögliche sein – das Verdeck eines Kinderwagens, ein alter Duschvorhang, ein Regenschirm.
Tatsächlich ist es eine blaue North-Face-Jacke – wasserdicht und unkaputtbar.
Terry späht in das Loch, lächelt und beugt sich dann in die Kamera. Der schwarze Kolben des Mikrofons ist an seinem Mund. Er sagt etwas, aber ich beobachte die Wetterfee, die neben ihm steht. Sie hält eine weiße Kerze in der einen Hand und einen rosafarbenen Ballon in der anderen. Bestimmt ist er mit Helium gefüllt – die Schnur steht kerzengerade wie ein Rohr, und der Ballon schwebt über ihrem Kopf wie eine Gedankenblase. Ihr Lächeln gefriert, dann verblasst es. Terry spricht immer noch, aber die Leute hinter ihm verziehen plötzlich das Gesicht und beginnen zu husten.
Es ist der Geruch.
Als der Bürgermeister den Spaten zur Seite wegkippt und die Knöpfe sich über seinem Bauch spannen, geht ein hörbar angewidertes Stöhnen durch die Menge, und die Wetterfee lässt ihren Luftballon los, dreht sich zur Seite und spuckt einen klaren Gallefaden auf den Boden. Ich beobachte, wie der Ballon emporschwebt, aus dem Kamerabild.
Chaos breitet sich aus. Die Tauben schlagen mit den Flügeln gegen das Gitter ihrer Käfige. Ich weiß
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